Teufelswasser
seinen vorgestreckten Armen. Denschler freute sich immer, Philipp zu sehen. Er war nur drei Zentimeter größer und drei Tage älter als sein ehemaliger Klassenkamerad, hatte kräftiges, helles Haar und trug wie Philipp eine Brille.
Nachdem sie sich ein wenig über die lange verflossenen Schulzeiten ausgetauscht hatten, gingen sie zunächst in den Lesesaal, wo, um sich bloß nicht zu nahe zu kommen, in jeder Ecke ein in Archivalien vertiefter Forscher saß, und von da aus in die Abteilung des Archivs, in der sie die erwünschten Unterlagen zu finden hofften. Wuchtige Metall- und nummerierte Aktenschränke, die bis zur Decke reichten, machten sich gegenseitig den Platz streitig; und Karteikästen gab es hierselbst in allen Größen und Formaten, sei es aus stabilem Holz, sei es banalem Plastik.
Philipp Laubmann betrachtete diese wundersamen Gegenstände voller Sehnsucht und Sammlerneid. Insbesondere die Karteikästen hatten es ihm angetan; denn schon seit vielen Jahren registrierte er alles, was er für seine Geistestätigkeit benötigte, auf Karteikarten und archivierte sie in ebensolchen Kartotheken, bevorzugt aus Holz. Er hatte bereits eine respektable Anzahl solcher Karteikästen zusammengetragen, doch das, was hier vorhanden war, stellte seinen Kartenhort bei weitem in den Schatten.
Schließlich mussten sie doch in den Keller hinab, weil sie oben zu wenig über die Geschichte des Schlosses hatten entdecken können. Im Hauptraum des Kellergewölbes standen breite, hauptsächlich mit Büchern angefüllte Regalreihen auf in den Boden eingelassenen Schienen. Die einzelnen Regale waren jeweils an ihren Längsseiten dicht aneinandergedrängt. An der Schmalseite eines jeden Metallregals war ein schlichtes Rad angebracht, mit Hilfe dessen sich mehrere der Regale auf einmal bewegen ließen, sodass an der gewünschten Stelle ein ausreichend großer Zwischenraum als Laufgang geöffnet werden konnte.
Philipp dachte angesichts dieser Konstruktion laut über einen ungewöhnlichen Leichenfund nach: Ein Besucher des Archivs oder ein Bediensteter könnte versehentlich oder absichtlich zwischen den Regalen eingeklemmt werden und verdursten. Vielleicht in einer selten genutzten Abteilung.
«Bei den Dubletten womöglich», mutmaßte Urban und warf einen unsicheren Blick darauf.
«Die Leiche könnte durch die Umluftanlage quasi ausgetrocknet und somit konserviert werden. Das wäre dann ein echter alter Bamberger.»
«Wir heben alles auf; bei uns kommt nichts weg.» Das Lachen Denschlers klang reichlich gezwungen.
Der Archivar zog eine der Schubladen eines Kartenschranks auf, der sich am hinteren Ende des Gewölbes befand. Die historischen Pläne in dieser Schublade erweckten allesamt Philipps Interesse, doch Denschler blätterte sie schnell und routiniert durch. Nach kurzer Zeit hatte der Archivar zwei Karten des 19. Jahrhunderts ausfindig gemacht, auf denen neben dem Schloss speziell der Wasserlauf vom Teufelsloch zum Teich im Schlosspark feinsäuberlich wiedergegeben war. Ebenso war der Wasserabfluss vom Teich zur Regnitz hinab eingetragen. Es handelte sich dabei wahrscheinlich um ziemlich angejahrte Holzleitungen, die zumindest teilweise noch existieren mussten. Einer anderen, schmaleren Schublade entnahm Philipps Schulfreund eine mehr als hundertfünzig Jahre alte Urkunde, mit welcher den Schlosseigentümern ein Wasserrecht verliehen worden war.
Philipp Laubmann erhielt gut verwendbare Kopien, die Dr. Denschler in seinem Büro angefertigt hatte, nachdem sie wieder aus dem Magazin zurückgekehrt waren. Als Philipp die Kopien zusammenrollte, sah er auf dem Schreibtisch des Archivars einen außergewöhnlich großen PapierLocher. Er hob ihn an und inspizierte ihn eingehend.
«Solche runden Papierblättchen, die ausgestanzt sind, könnt ich gebrauchen», sinnierte Laubmann. «Für ein Experiment.»
«Hier werden keine Experimente durchgeführt», erwiderte Denschler besorgt. «Wenn du so was brauchst, dann geh zum Schreibwarenladen in der Kapuzinerstraße; Eugen Müller . In dem Laden bekommst du alles. Wenn's keiner hat, der Müller hat's !»
***
Schon nach zehn Minuten war Philipp auf dem Weg zur nahe gelegene Kapuzinerstraße. Die Straße war nach dem ehemaligen Kloster der Kapuziner benannt, das E.T.A. Hoffmann zu Beginn seiner Elixiere des Teufels erwähnt. Und Laubmann mochte Hoffmann.
Von außen wirkte das Geschäft eher unaufdringlich, innen aber war der Eugen Müller regelrecht vollgestopft mit Papier- und
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