Teufelswasser
Schreibwaren sowie Bastelbedarf; und das in einem Labyrinth aus versteckten Vitrinen, geschnitzten Regalen, windschiefen Schränken und unendlich vielen Schubfächern, deren altertümliche Aufschriften vermutlich nur der Ladeninhaber – Franz Müller, der Sohn von Eugen Müller – selbst noch lesen konnte.
Der Verkaufsraum verfügte, ähnlich wie das Wollgeschäft der laubmannschen Cousine, über eine Kurbelkasse und zwei mit verblichener Werbung versehene Neonröhrenlampen darüber. An manchen Stellen waren Drähte und Schnüre gespannt, an denen Lampions, Papiertüten oder Holzlineale hingen. Nach dem Empfinden Laubmanns roch es angenehm nach einer Mischung aus Papier, Tinte und Farben. Er war sehr froh, dass Franz Müller momentan einen Kunden bediente; so konnte er für einige Augenblicke die ausliegenden Waren nach Herzenslust durchstöbern.
Dr. Philipp Laubmann entdeckte Drachenbau-Anleitungen mit den dazugehörigen Materialien, Schreibtafeln für die Schule, Kreide, Tafelschwämmchen, allerlei Stempel, Stempelkissen und Stempeltinten, Füllfederhalter, Schreibfedern, vielerlei Arten von Radiergummis und Bleistiftspitzern, Schnitzmesser, nostalgisch eingebundene Hefte, Brieföffner, Pinsel, Mal-Paletten, Löschwiegen, Zeitungshalter, Reißnägel, Siegellack, Bleistiftverlängerer, Paketschnüre in verschiedenen Farben, Gummikuppen für den zählenden Daumen, Fingeranfeuchter, Tuschegläschen, Kunstkarten, Briefständer und was nicht alles sonst noch.
Als der andere Kunde einen halbrund geschliffenen gläsernen Briefbeschwerer gekauft und das Geschäft verlassen hatte, trug Laubmann seinen Wunsch hinsichtlich der Papierblättchen vor.
«Sie meinen Konfetti», berichtigte ihn der Ladeninhaber freundlich, aber akkurat.
Franz Müller, ein gebücktes, grauhaariges, schmales Männchen unbestimmbar hohen Alters und nicht verwandt oder verschwägert mit den Mordopfern, schmunzelte, wie es seine Art war, und tappte in seinem etwas zu weiten, bläulich-grauen Arbeitskittel in einen Hinterraum, in dem auch Bücher gebunden werden konnten. Dort schichtete er etliche Schachteln um, raschelte, suchte eine Weile und kam schließlich stolz mit einem Karton voller dreieckiger Tüten zurück.
Eine der verblichenen Tüten nahm er aus dem Karton heraus und belehrte Laubmann, indem er sie ihm über die Ladentheke reichte: «In jeder von den Konfetti-Tüten sind tausend Blättchen in verschiedenen Farben.»
Laubmann wollte fünf Tüten erwerben. Der Preis war noch in D-Mark vermerkt. Handschriftlich.
«Wenn Sie sechs nehmen, kriegen Sie eine umsonst.» Franz Müller lächelte verschmitzt und geschäftstüchtig. «Aber die Faschingszeit ist jetzt schon vorbei! Die nächste beginnt erst am 11.11.; vorher soll man die Tüten nicht aufmachen. Und bis dahin sind sie trocken zu lagern.»
XXIX
ANDERNTAGS WAREN SIE wieder in Bad Kissingen, Laubmann und Lürmann. Sie hatten sich am heutigen Mittwoch, vormittags, zur Oberen Saline begeben, die vor den Toren der Kurstadt an der Fränkischen Saale lag und ein Bismarck-Museum beherbergte. Zwar hatte die Saline einst der Salzgewinnung gedient, doch Fürstbischof Adam Friedrich von Seinsheim ließ sich 1767 hier ein schlossähnliches Domizil errichten, in welchem er während seiner Kuraufenthalte residieren konnte.
Ein Jahrhundert später, als es die fränkischen Fürstbistümer längst nicht mehr gab, logierte Reichskanzler Otto von Bismarck in der Oberen Saline. Über viele Jahre hinweg kam er nach Kissingen, seinem bevorzugten Badeort, zur Kur, obwohl bei seinem ersten Besuch 1874 mit einer Schusswaffe ein Attentat auf ihn verübt worden war und die Kugel seine Schläfe nur um ein Weniges verfehlt hatte.
«Frau Schauberg war also nicht die Erste, die in Kissingen einem Mordanschlag mit knapper Not entgangen ist», konstatierte Philipp Laubmann an Bismarcks Bett.
Nach dem Besuch des Museums, wohin sie mit einem Taxi gefahren waren, spazierten der Kommissar und der Theologe leger durch die Saale-Auen in Richtung Stadt und somit auf die weiter südlich gelegene Gradieranlage zu, die sie in Augenschein nehmen wollten. Lürmann im üblichen Fischgrätenmuster, Laubmann in der mattgrünen Wolle. Die Luft war mild, der Himmel leicht bewölkt.
Ihre Unterhaltung war anfangs äußerst matt, denn Kommissar Lürmann wirkte bedrückt und getraute sich nicht so recht, mit der Sprache herauszurücken. Er atmete tief durch. «Um ganz offen zu sein, und weil du sie erwähnt hast, deine Frau
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