Teufelswasser
antwortete Gertrud Steinhag ohne Zögern. «Wir haben uns ja schon selbst überlegt, ob wir hier nicht ein christlich-spirituelles Zentrum gründen sollten, das in der Zielsetzung einer Akademie gleichkäme. Aber dazu benötigt man viel Geld, das wir, Gott sei's geklagt, nicht haben.» Ihr Gesicht zeigte trotz des frischen rosigen Teints Bedauern. «Zudem dürfte Ihnen bekannt sein, dass im kirchlichen Bereich schon viele ähnliche Einrichtungen existieren, weil man mit etlichen alten Gebäudekomplexen die gleichen Probleme hatte.»
«Sie lassen sich also nicht von dem Namen ‹Engel› beeindrucken, als wäre er ein ‹Sendbote Gottes›?»
«So leicht lassen wir uns nicht für dumm verkaufen.» Sie schmunzelte.
«Haben Sie mit den im Mordfall ermittelnden Beamten über die Kaufangebote gesprochen?»
«Mit Kommissar Glaser? Nein, das Thema stand nie zur Debatte.»
«Aber die Angebote der scharf konkurrierenden Kaufinteressenten könnten ein Grund für die Morde gewesen sein.»
Jetzt reagierte die Leiterin des Instituts geradezu abweisend, als klopfe das Böse an ihre Tür: «Ich sehe keine Anzeichen dafür; und ich will über so etwas auch nicht nachdenken!»
Gertrud Steinhag legte ihre Unterlagen aufeinander, um sie wegzuräumen. Doch Laubmann kam ihr zuvor und bat sie darum, die Prospekte für eigene «Ermittlungszwecke» behalten zu dürfen.
Die Leiterin hatte nichts dagegen und händigte sie ihm aus. «Wir haben noch welche davon.»
***
Da es Philipp untersagt war, die Klausur zu betreten, begab sich Gertrud Steinhag an seiner statt zu Gabriela Schaubergs Zimmer, um sie zu holen. Laubmann hatte seine mattgrüne Wolljacke angezogen, denn er wollte in Gabrielas Begleitung das Teufelsloch in Augenschein nehmen. Vorher jedoch ließ er sich von ihr, trotz ihres Widerstrebens, zum Teich führen, in dem Margaretes Leiche gefunden worden war. Sie blieben an der Polizeiabsperrung stehen.
«Ich weiß wirklich nicht, wie die Situation am Tatort war», äußerte Gabriela; «und ich glaube, ich möchte es auch gar nicht wissen.» – Wieder diese Abwehr.
Laubmann blickte auf das Schilf, das alttestamentlich zum Beispiel im Buch Exodus als Bild vom Schilfmeer in Erscheinung tritt und als ein Verweis auf das Gottesgericht interpretiert wird. Für Philipp kennzeichnete es hier am Teich jedoch den Übergang vom Leben zum Tod.
Er empfand den Ort als schaurig, ja beinahe schaurigschön; Gabriela dagegen schaute den Teich nur mehr mit Schrecken an. Im selben Moment gewahrten sie auf dem Feldweg vor dem Gartenzaun einen älteren Mann mit Fahrrad, der einfach nur dastand und sie beide betrachtete.
«Das ist unser Gärtner, Herr Kornfeld», sagte Gabriela. «Er weiß bestimmt mehr.»
Nachdem sie ihn freundlich gerufen hatte, lehnte Kornfeld sein Fahrrad an den Zaun und ging bedächtig auf das Gartentor zu, das wie üblich unverschlossen war. Er hatte am Wochenende frei, war aber trotzdem zum Institut gefahren – um auf dem Laufenden zu bleiben. Der untersetzte, stämmige Mann näherte sich dem Teich auf einem der Schotterwege. Seine dünnen grauen Haare waren nach hinten gekämmt, und man konnte darunter die sonnenverbrannte Kopfhaut erkennen.
«Herr Kornfeld ist bei uns fast schon so lange tätig, wie das Säkularinstitut besteht», würdigte ihn Gabriela Schauberg und stellte ihm Dr. Laubmann vor.
Doch Kornfeld konnte das, was Laubmann am meisten interessierte, nur dem Hörensagen nach beschreiben, nämlich wie die Leiche im Wasser gelegen hatte, weil sie neulich morgens bei seinem Dienstantritt schon weggebracht worden war. Diese Aussage war also für Philipp nicht viel wert. Der Gärtner des Instituts war nicht der Zeuge, den er sich gewünscht hatte.
Er machte sich deshalb, wie vereinbart, zusammen mit Gabriela Schauberg auf den Weg zum Teufelsloch. Sie spazierten durch einen gepflegten Bestand aus hohen Fichten- und Laubbäumen, der sich rechts an den Park anschloss und das Institut mit kühlender Waldluft versorgte.
Philipp sog mit Bedacht die verschiedenen Waldaromen ein: das Harz von frisch geschnittenem Holz, vermischt mit Waldmeister-, Fichtennadel- und Rindenduft. Vogelstimmen erfüllten die Umgebung, als wäre der Wald eine hohe Halle.
«Zum Besitz des Schlosses gehören, außer dem Park und dem Wald um das Teufelsloch, auch noch anderswo Waldabteilungen, Äcker und Karpfenteiche. Die land- und forstwirtschaftlichen Grundstücke sind freilich verpachtet, und die Einnahmen helfen uns, das Institut zu
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