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Teufelszeug

Teufelszeug

Titel: Teufelszeug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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einer Kunststoffmatte abtreten.
    Er stand auf und tapste leise nach unten, um nach seiner Mutter zu schauen. Er hatte erwartet, dass sie schlief oder mit leerem Blick an die Decke starrte. Stattdessen lag sie auf der Seite und versuchte, mit ihrer verkümmerten Hand das
Telefon zu erreichen. Bisher war es ihr nur gelungen, den Hörer von der Gabel zu stoßen - er hing an einem beigefarbenen Wendelkabel bis auf den Boden. Sie hatte ein Stück des Kabels in der anderen Hand zusammengerafft und mühte sich ab, den Hörer so weit hochzuziehen, dass sie ihn zu fassen bekam, wobei er fortwährend hin und her baumelte, über den Boden schabte und immer wieder gegen den Nachttisch knallte.
    Als seine Mutter ihn so dastehen sah, hielt sie inne. Ihr gequältes, eingefallenes Gesicht wirkte gelassen, fast erwartungsvoll. Früher hatte sie dichtes honigfarbenes Haar gehabt, kurze Locken, die ihr gerade bis zu den Schultern gingen. Wie Farrah Fawcett. Jetzt bekam sie jedoch allmählich eine Glatze, und dünne silbrige Strähnen fielen seitlich über den mit Leberflecken übersäten Schädel.
    »Was machst du da, Ma?«, fragte Lee.
    »Telefonieren.«
    »Wen wolltest du denn anrufen?« Während er das sagte, wurde ihm bewusst, wie deutlich sie gesprochen hatte, und da begriff er, dass sie, wider alle Prognosen, noch einmal für einen kurzen Moment aus ihrer Demenz aufgetaucht war.
    Seine Mutter starrte ihn ausdruckslos an. »Wer sind Sie?« Jedenfalls ein Stück weit aufgetaucht.
    »Lee. Erkennst du mich denn nicht?«
    »Sie lügen. Lee ist draußen und balanciert auf dem Zaun. Ich hab es ihm verboten. Ich hab ihm gesagt, dass es ein Donnerwetter setzt, aber er kann es einfach nicht lassen.«
    Lee durchquerte das Zimmer und legte den Hörer auf die Gabel zurück. Es war maßlos unvorsichtig von ihm gewesen, ein Telefon in ihrer Nähe stehenzulassen, ganz gleich, in welchem Zustand sie sich befand.
    Als er sich vorbeugte, um das Telefonkabel auszustecken,
streckte seine Mutter den Arm aus und packte ihn am Handgelenk. Fast hätte Lee einen Schrei ausgestoßen, so sehr überraschte es ihn, wie kraftvoll ihre ausgemergelten Finger noch waren.
    »Ich sterbe doch sowieso«, sagte sie. »Warum wollen Sie, dass ich leide? Warum lassen Sie den Dingen nicht einfach ihren Lauf?«
    »Weil ich dann nichts lernen würde«, sagte Lee.
    Er hätte erwartet, dass sie ihn fragen würde, was er damit meine, doch stattdessen sagte seine Mutter fast schon selbstzufrieden: »Ja . Das stimmt. Aber was wollen Sie herausfinden?«
    »Wie weit ich gehen kann.«
    »Was ich alles aushalte?«, fragte seine Mutter und fuhr dann fort: »Nein. Nein, das ist es nicht. Sie meinen, ob es etwas gibt, wozu Sie nicht in der Lage sind.« Sie sank auf die Kissen zurück - und zu Lees Überraschung lächelte sie wissend. »Sie sind nicht Lee. Lee ist draußen auf dem Zaun. Wenn ich ihn noch einmal dabei erwische, wie er auf dem Zaun balanciert, bekommt er meinen Handrücken zu spüren. Ich habe ihn gewarnt.«
    Sie holte tief Luft, und ihre Augenlider sanken herab. Er dachte, dass sie vielleicht wieder einschlafen würde - sie verlor oft von einem Moment auf den nächsten das Bewusstsein -, doch dann redete sie weiter. In ihrer dünnen alten Stimme lag ein nachdenklicher Unterton.
    »Einmal habe ich eine Espressomaschine aus dem Katalog bestellt. Von Sharper Image, glaube ich. Ein hübsches kleines Gerät mit Zierleisten aus Kupfer. Ich hab ein paar Wochen gewartet, und schließlich ist das Paket eingetroffen. Ich hab es aufgeschlitzt, und stell dir vor - da drin war nichts außer Verpackungsmaterial! Neunundachtzig Dollar
für Luftpolsterfolie und Styropor. Da muss irgendjemand in der Espressomaschinenfabrik geschlafen haben.« Sie atmete aus, langsam und zufrieden.
    »Und warum erzählst du mir das?«, fragte Lee.
    »Weil es mit dir dasselbe ist«, sagte sie, öffnete die großen, fiebrig glänzenden Augen und starrte ihn an. Ihr Lächeln wurde breiter, und sie zeigte ihre verbliebenen Zähne, die klein, gelb und schief waren. Dann fing sie an zu lachen. »Du solltest dein Geld zurückverlangen. Du bist reingelegt worden. Du bestehst aus nichts als Verpackung. Nur eine hübsche Kiste mit nichts darin.« Sie lachte, und es klang so barsch und heiser, als bekäme sie kaum Luft.
    »Hör auf, mich auszulachen«, sagte Lee, doch darüber musste seine Mutter nur noch lauter lachen, und sie hörte erst auf, als Lee ihr eine doppelte Dosis Morphium verabreichte. Dann ging er in

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