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Teufelszeug

Teufelszeug

Titel: Teufelszeug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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die Küche und trank eine Bloody Mary mit viel Pfeffer. Die Hand, mit der er das Glas hielt, zitterte.
    Am liebsten hätte er ihr einen kochend heißen Becher Salzwasser zubereitet und sie gezwungen, ihn auszutrinken. Sollte sie doch dran verrecken!
    Stattdessen ließ er sie jedoch in Ruhe; mehr noch, er kümmerte sich eine Woche lang besonders gewissenhaft um sie, ließ den ganzen Tag den Ventilator laufen, wechselte regelmäßig ihre Laken, brachte ihr frische Blumen und schaltete den Fernseher ein. Er achtete darauf, sie pünktlich mit Morphium zu versorgen, denn er wollte nicht, dass sie wieder einen klaren Kopf bekam, wenn die Pflegerin vorbeikam, und ausplauderte, wie sie behandelt wurde, wenn sie mit ihrem Sohn allein war. Aber seine Befürchtungen erwiesen sich als unberechtigt; seine Mutter hatte nie wieder einen lichten Augenblick.

KAPITEL 36
    Wie hätte er den Zaun auch vergessen können! An die zwei Jahre, die sie in Bucksport, Maine, gewohnt hatten, konnte er sich dagegen kaum noch erinnern. Er wusste zum Beispiel nicht mehr, warum sie überhaupt dorthin gezogen waren, in einen Ort am Arsch der Welt, wo seine Eltern keinen Menschen kannten. Ihm wollte auch nicht mehr einfallen, warum sie nach Gideon zurückgekehrt waren. Aber der Zaun war ihm im Gedächtnis geblieben - der Zaun und der verwilderte Kater aus dem Maisfeld; und jene Nacht, in der er verhindert hatte, dass der Mond vom Himmel fiel.
    Der Kater kam stets in der Abenddämmerung aus dem Maisfeld. Als er das zweite oder dritte Mal leise maunzend in ihrem Garten auftauchte, ging seine Mutter hinaus, um ihn zu begrüßen. Sie brachte ihm eine Dose Sardinen, stellte sie auf den Boden und wartete, bis sich der Kater heranwagte. Er fiel über die Sardinen her, als hätte er seit Tagen nichts mehr gegessen, und vielleicht traf das ja auch zu - er würgte die kleinen silbernen Fische mit raschen, ruckartigen Kopfbewegungen hinunter. Dann schmiegte er sich an Kathy Tourneaus Waden und schnurrte zufrieden. Das Schnurren klang irgendwie eingerostet, so als wüsste er kaum noch, wie es sich anfühlte, glücklich zu sein.

    Als Lees Mutter sich jedoch bückte, um den Kater hinter den Ohren zu kraulen, schlug er ihr die Krallen in den Handrücken. Sie kreischte los und trat nach ihm, und er ergriff so schnell die Flucht, dass er dabei die Sardinenbüchse umstieß.
    Sie musste eine Woche lang einen weißen Verband tragen, und es blieb eine schlimme Narbe zurück, die sie bis an ihr Lebensende an diese Begegnung erinnern sollte. Als der Kater das nächste Mal maunzend aus dem Maisfeld kam, warf Lees Mutter eine Bratpfanne nach ihm, und er verschwand wieder zwischen den hässlichen kleinen Stauden, die hinter ihrem Haus in Bucksport in einem Dutzend Reihen wuchsen.
    Seine Eltern hatten sie nicht angepflanzt und kümmerten sich auch nicht um sie. Sie waren keine Farmer, und Gartenarbeit lag ihnen nicht. Im August erntete Lees Mutter ein paar Maiskolben und versuchte sie zu dämpfen, aber keiner von ihnen bekam sie hinunter. Sie waren zäh und schmeckten nach nichts. Lees Vater lachte und sagte, das wäre Futtermais.
    Der Oktober kam, und die Stauden waren trocken, braun und abgestorben. Nicht wenige neigten sich zur Seite oder waren ganz umgefallen. Lee fand sie großartig - er liebte ihren aromatischen Duft, der die kühle Herbstluft erfüllte, und schlich mit Begeisterung zwischen den Reihen entlang, wo er vom Rascheln der trockenen Blätter umgeben war. Noch Jahre später erinnerte er sich daran, wie glücklich er jedes Mal im Maisfeld gewesen war, auch wenn er diese Begeisterung nicht mehr ganz nachvollziehen konnte. Wenn er sich als Erwachsener dieses Glücksgefühl vergegenwärtigte, war das in etwa so, als wollte er allein von der Vorstellung einer leckeren Mahlzeit satt werden.

    Sie hatten keine Ahnung, wo der Kater den größten Teil des Tages verbrachte. Den Nachbarn gehörte er nicht. Er gehörte niemandem. Lees Mutter sagte, er sei verwildert. Dabei spuckte sie das Wort »verwildert« regelrecht aus, genau so, wie wenn sie das Winterhaus erwähnte, die Bar, in der Lees Vater jeden Abend nach der Arbeit vorbeischaute, um ein Bier zu trinken - oder zwei oder drei.
    Unter dem Fell des Katers zeichneten sich deutlich die Rippen ab, und an manchen Stellen war ihm das schwarze Fell auch ganz abhandengekommen; dort kam dann vernarbte rosafarbene Haut zum Vorschein. Seine haarigen Hoden waren so groß wie reife Pflaumen, und wenn er lief, baumelten sie

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