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Teufelszeug

Teufelszeug

Titel: Teufelszeug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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vergessen. »He, wäre das nicht großartig - nächstes Jahr in Terry Perrishs Show bekanntzugeben, dass ich für das Gouverneursamt kandidiere?«
    »Das wäre es. Das wäre es in der Tat«, sagte Lee.
    »Glauben Sie, das ist machbar?«
    »Ich kann ihn ja mal zum Essen einladen, wenn er das nächste Mal wieder in der Gegend ist«, sagte Lee. »Und ein gutes Wort für Sie einlegen. Mal sehen, wie er reagiert.«
    »Aber sicher«, erwiderte der Kongressabgeordnete. »Das klingt gut. Machen Sie richtig einen drauf. Auf meine Kosten.« Er seufzte. »Sie sind mir wirklich eine große Hilfe, Lee. Glauben Sie mir, ich weiß, was ich an Ihnen habe!« Er sah ihn mit einem Funkeln in den Augen an, geradezu großväterlich. Das konnte er auf Kommando - Weihnachtsmannaugen machen. »Wissen Sie, Lee, Sie sind nicht mehr zu jung, um selbst für den Kongress zu kandidieren. In ein paar Jahren ist mein Sitz frei, so oder so. Sie haben das nötige Charisma, sehen gut aus, sind witzig und ehrlich. Und Sie haben eine Geschichte zu erzählen. Jesus hat Sie errettet.«
    »Ich weiß nicht. Ich bin mit dem zufrieden, was ich jetzt mache - und ich möchte für Sie arbeiten. Ich glaube nicht, dass es meine Berufung ist, mich um ein öffentliches Amt zu
bewerben«, sagte Lee und fügte ohne jede Verlegenheit hinzu: »Ich denke, der Herr hat anderes mit mir vor.«
    »Schade«, sagte der Kongressabgeordnete. »Die Partei könnte Sie gebrauchen, und wer weiß schon, wie weit Sie es bringen könnten? Sie sollten es sich wirklich überlegen - Sie könnten unser nächster Reagan werden.«
    »Lieber nicht«, sagte Lee. »Der nächste Karl Rove, darüber ließe sich reden.«

KAPITEL 35
    Zum Ende hin hatte seine Mutter kaum noch gesprochen, und Lee wusste nicht, was sie in den letzten Wochen überhaupt noch mitbekam. An den meisten Tagen wiederholte sie in den verschiedensten Variationen immer nur ein Wort, manchmal wie rasend und mit brechender Stimme: »Durst! Du-urst!« Wobei ihr stets die Augen aus den Höhlen traten. Es war so heiß, dass Lee nackt neben dem Bett saß und in einer Zeitschrift blätterte. Bis Mittag hatte es im Schlafzimmer 35 Grad, und unter den übereinandergestapelten Steppdecken war es vielleicht noch 15 Grad wärmer. Seine Mutter schien nicht immer zu wissen, dass ihr Sohn bei ihr im Zimmer war. Sie starrte zur Decke hinauf, und ihre dünnen Arme zuckten jämmerlich, wie bei einer Frau, die über Bord gegangen war und nicht mehr die Kraft hatte, sich über Wasser zu halten. Dann wieder rollten ihre riesigen Augen nach oben, und sie schaute flehentlich und verzweifelt in Lees Richtung. Lee schlürfte dann seinen Eistee und schenkte ihr darüberhinaus keine Beachtung.
    Wenn er seiner Mutter die Windel wechselte, vergaß Lee gelegentlich, ihr wieder eine neue anzuziehen. Wenn sie sich dann einpinkelte, rief sie: »Nass! Nass! O Gott, Lee! Nass gemacht!« Lee hatte es nie eilig, die Laken zu wechseln, denn das war ein umständlicher, ermüdender Vorgang. Ihre
Pisse roch furchtbar, nach Karotten und Nierenversagen. Und wenn er es tat, knüllte er die Laken zusammen und drückte sie seiner Mutter aufs Gesicht, während sie mit erstickter Stimme heulte und zeterte. Genau das hatte sie schließlich auch mit ihm gemacht, wenn er die Laken eingenässt hatte. Damit hatte sie ihm beibringen wollen, nicht ins Bett zu pinkeln, ein Problem, das ihn als Kind geplagt hatte.
    »Möchtest du etwas trinken, Ma?«, fragte er dann mit sanfter Stimme, während er die tropfnassen Laken über ihrem Gesicht ausdrückte. »Hast du schrecklichen Durst? Bitte sehr! Schön austrinken, Ma.«
    Gegen Ende Mai hatte seine Mutter allerdings nach Wochen der Konfusion einen einzigen lichten Augenblick - einen gefährlichen Moment der Klarheit. Lee war vor Sonnenaufgang in seinem Zimmer im Obergeschoss aufgewacht. Er wusste nicht, was ihn geweckt hatte, nur dass irgendetwas nicht stimmte. Er stemmte sich auf die Ellbogen hoch und lauschte aufmerksam. Es war noch vor fünf, und draußen graute allmählich der Morgen. Das Fenster war einen Spalt weit offen, und er konnte das frische Gras und die Knospen an den Bäumen riechen. Die Luft, die hereinwehte, war warm und feucht. Heute würde es bestimmt eine Affenhitze geben, vor allem im Gästezimmer, wo er, wie er herausgefunden hatte, die alte Frau am effektivsten auf niedriger Flamme kochen konnte. Schließlich hörte er etwas - einen dumpfen Schlag, gefolgt von einem Geräusch, als würde jemand seine Schuhe auf

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