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Teufelszeug

Teufelszeug

Titel: Teufelszeug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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Arbeitszimmer«, sagte sie. »Er wird froh sein, Sie zu sehen. Sie wussten, dass er Sie braucht?«
    »Ja. Kopfschmerzen?«
    »Ganz furchtbare.«
    »Keine Sorge«, sagte Lee. »Ich bin ja jetzt da.«
    Lee kannte den Weg zum Arbeitszimmer gut. Er klopfte, wartete jedoch nicht, bis er aufgefordert wurde hereinzukommen, sondern öffnete gleich die Tür. Bis auf das Licht des Fernsehers war das Zimmer dunkel. Der Kongressabgeordnete lag mit einem nassen Waschlappen über den Augen auf der Couch. Im Fernsehen lief Hothouse . Die Lautstärke war heruntergedreht, aber Lee konnte Terry Perrish hinter seinem Schreibtisch sitzen sehen; er interviewte einen spindeldürren Briten in einer Lederjacke - ein Rockstar vielleicht.
    Der Kongressabgeordnete hörte die Tür, hob eine Ecke des Waschlappens an, sah Lee und lächelte angestrengt. Dann ließ er den Waschlappen wieder sinken.
    »Da sind Sie ja«, sagte er. »Fast hätte ich Ihnen nicht auf Band gesprochen, weil ich wusste, dass Sie sich Sorgen machen und herkommen würden, und das an einem Freitagabend. Ich beanspruche auch so schon zu viel von Ihrer Zeit. Eigentlich sollten Sie gerade mit einer schönen Frau zu Abend essen.« Er redete in dem leisen, liebevollen Ton eines Mannes, der auf dem Totenbett lag und mit seinem Lieblingssohn sprach - es war nicht das erste Mal, dass Lee sich um ihn kümmerte, wenn er Migräne hatte. Die Anfälle hingen direkt mit dem Ergebnis von Spendenaktionen und Meinungsumfragen zusammen. In letzter Zeit waren sie häufiger aufgetreten. Bisher wusste es noch niemand, aber der Kongressabgeordnete würde bald bekanntgeben, dass
er für das Amt des Gouverneurs kandidieren wollte. Die derzeitige Amtsinhaberin hatte bei der letzten Wahl einen erdrutschartigen Sieg errungen, aber seither war ihre Beliebtheit deutlich gesunken. Jedes Mal, wenn sich ihre Umfrageergebnisse auch nur ansatzweise erholten, musste der Kongressabgeordnete eine Handvoll Ibuprofen einwerfen und sich hinlegen. Er war mehr denn je auf Lees Unterstützung angewiesen.
    »Genau das hatte ich auch vor«, sagte Lee. »Aber sie hat mich sitzen lassen; außerdem sind Sie hübscher.«
    Der Kongressabgeordnete lachte heiser. Lee setzte sich ihm schräg gegenüber auf den Couchtisch.
    »Wer ist gestorben?«, fragte er.
    »Der Ehemann der Gouverneurin«, erwiderte der Kongressabgeordnete.
    Lee zögerte und sagte dann: »Ich hoffe, das ist ein Witz.«
    Der Kongressabgeordnete hob wieder den Waschlappen an. »Er hat die Lou-Gehrig-Krankheit. ALS. Wurde gerade erst diagnostiziert. Morgen findet eine Pressekonferenz statt. Nächste Woche sind sie zwanzig Jahre verheiratet. Ist das nicht schrecklich?«
    Lee war auf schlechte Umfrageergebnisse vorbereitet gewesen oder auf einen kritischen Artikel über den Kongressabgeordneten im Pourtsmouth Herald - oder über die Mädchen, davon hatte es nämlich bereits mehrere gegeben. Lee brauchte einen Moment, um die Neuigkeit zu verarbeiten.
    »Gütiger Himmel«, sagte er.
    »Meine Worte. Es hat mit einem Daumen angefangen, der einfach nicht mehr zu zucken aufhören wollte. Inzwischen sind es beide Hände. Der Verlauf der Krankheit ist offenbar sehr kritisch. ›Denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde‹, so steht es doch geschrieben, nicht wahr?«

    »Jawohl, Sir.«
    Sie saßen schweigend beieinander. Im Hintergrund lief der Fernseher.
    »Mein bester Freund auf dem Gymnasium - sein Vater war daran erkrankt«, sagte der Kongressabgeordnete. »Der arme Mann saß immer in seinem Sessel vor dem Fernseher und zappelte wie ein Fisch am Haken, und die Hälfte der Zeit klang es, als würde ihn jemand erwürgen. Die Gouverneurin und ihr Mann tun mir ausgesprochen leid. Ich wüsste nicht, was ich tun würde, wenn eins meiner Mädchen krank würde. Möchten Sie mit mir beten, Lee?«
    Auf gar keinen Fall, dachte Lee, aber er kniete sich vor den Couchtisch und faltete die Hände. Der Abgeordnete kniete sich neben ihn und senkte den Kopf. Lee schloss die Augen, um sich zu konzentrieren und über die Folgen dieses unerwarteten Ereignisses nachzudenken. Zum einen würde die Gouverneurin künftig bei Meinungsumfragen deutlich besser abschneiden; persönliche Tragödien waren immer für ein paar Tausend Stimmen gut. Außerdem war die Gesundheitsfürsorge von jeher eines ihrer zentralen Themen gewesen; das würde ihr jetzt zugutekommen, immerhin war sie persönlich betroffen. Als wäre es nicht schon schwierig genug, gegen eine Frau anzutreten, ohne wie ein Chauvinist

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