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Teufelszeug

Teufelszeug

Titel: Teufelszeug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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zwischen den Hinterbeinen. Eines seiner Augen war grün, das andere weiß, weshalb er so aussah, als wäre er halbblind. Lee erhielt von seiner Mutter die Anweisung, sich von ihm fernzuhalten, ihn unter keinen Umständen zu streicheln und ihm nicht zu trauen.
    »Er wird dich nie mögen«, sagte sie. »Der ist über den Punkt hinweg, wo er sich noch an Menschen gewöhnen kann. Er interessiert sich weder für dich noch für irgendjemand sonst, und das wird sich auch nicht mehr ändern. Er taucht nur hier auf, weil er hofft, dass wir ihn füttern, und das werden wir schön bleiben lassen, sonst werden wir ihn nie wieder los.«
    Aber sie wurden den Kater auch so nicht mehr los. Jeden Abend, just wenn die Sonne unterging und die Wolken zum Glühen brachte, kehrte er in ihren Garten zurück und maunzte.
    Manchmal ging Lee, sobald er aus der Schule nach Hause kam, hinaus, um nach ihm zu schauen. Er fragte sich, wo sich der Kater sonst so herumtrieb, wohin er ging und woher er kam. Lee kletterte oft auf den Zaun und balancierte
auf ihm entlang, während er das Maisfeld nach dem Kater absuchte.
    Immer wenn seine Mutter ihn dabei entdeckte, rief sie ihm zu, er solle machen, dass er herunterkomme. Es war ein alter Holzzaun, und die splittrigen Balken waren in schiefe Pfosten eingepasst. Er verlief um den ganzen Garten und auch um das Maisfeld herum. Die obersten Querbalken lagen in etwa auf der Höhe seines Kopfes, und wenn er hinaufkletterte und vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzte, wackelten sie ununterbrochen. Seine Mutter behauptete, das Holz hätte die Trockenfäule und dass einer der Balken irgendwann unter ihm wegbrechen würde, und dann würde er im Krankenhaus landen. Sein Vater machte dann immer eine wegwerfende Handbewegung und sagte: »Warum lässt du ihn nicht in Ruhe - Kinder sind nun mal so.« Trotzdem, Lee konnte einfach nicht davon ablassen; niemand in seinem Alter hätte das gekonnt. Es dauerte nicht lang, und er kletterte nicht mehr nur auf den Zaun hinauf, um vorsichtig darauf entlangzubalancieren - sondern schoss geradezu über die Balken, die Arme zur Seite hin ausgestreckt, als wäre er ein schlaksiger Kranich, der sich in die Lüfte schwingen wollte. Es war ein gutes Gefühl, wenn die Pfosten unter ihm erbebten und ihm das Blut in den Adern pochte.
    Der Kater schien es darauf abgesehen zu haben, Kathy Tourneau den Verstand zu rauben. Wenn er aus dem Maisfeld auftauchte, stieß er stets ein trauriges schrilles Heulen aus, einen einzigen heiseren Ton, den er in einem fort wiederholte, bis Lees Mutter es nicht mehr ertragen konnte, zur Hintertür hinausstürmte und etwas nach ihm warf.
    »Herrgott noch mal, was willst du denn?«, schrie sie den schwarzen Kater eines Abends an. »Du bekommst hier nichts zu fressen, also verschwinde!«

    Lee sagte nichts zu seiner Mutter, aber er glaubte genau zu wissen, warum der Kater jeden Abend wiederkam. Kathy Tourneau nahm an, er würde schreien, weil er etwas zu essen wollte. Lee hingegen hatte seine eigene Theorie. Bestimmt sehnte sich der Kater nach seinen früheren Besitzern - nach den Leuten, die vor ihnen in dem Haus gewohnt und ihn gut behandelt hatten. Lee malte sich aus, dass es ein Mädchen mit Sommersprossen und langen roten Haaren gewesen war, das eine Latzhose trug und ungefähr so alt war wie er selbst. Bestimmt hatte sie dem schwarzen Kater immer eine Schüssel mit Futter hingestellt und dann aus sicherer Entfernung zugeschaut, wie er fraß, ohne ihn zu stören. Vielleicht hatte sie ihm manchmal ein Lied vorgesungen. Dass der Kater, wie seine Mutter glaubte, beschlossen hatte, sie mit seinen unaufhörlichen schrillen Schreien zu quälen, nur um herauszufinden, wie viel sie aushalten konnten, hielt Lee für eine wenig plausible Hypothese.
    Er beschloss, sich mit dem Kater anzufreunden, und eines Abends setzte er sich in den Garten, um auf ihn zu warten. Seiner Mutter erklärte er, er wolle kein Abendessen, er sei noch ganz satt von der Schüssel Müsli, die er nach der Schule gegessen habe - und ob er nicht für eine Weile hinausdürfe? Sie erlaubte es ihm, zumindest bis sein Vater nach Hause käme. Spätestens dann würde es heißen: Schlafanzug an und ab ins Bett. Lee erzählte ihr weder, dass er nach dem Kater Ausschau halten wollte, noch, dass er sich Sardinen für ihn besorgt hatte.
    Mitte Oktober wurde es rasch dunkel. Als Lee hinausging, war es noch nicht einmal sechs, aber außer einem rosafarbenen Streifen über den Feldern auf der anderen

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