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Teufelszeug

Teufelszeug

Titel: Teufelszeug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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Tier hatte die Augen weit aufgerissen und starrte, offenbar zutiefst überrascht, in die Nacht hinaus. Sein Schädel war übel zugerichtet, und ihm lief Gehirnmasse zu den Ohren hinaus. Direkt neben ihm lag ein flaches Stück Schiefer, ganz nass vor Blut. Lee war sich ganz entfernt bewusst, dass sein rechter Arm wehtat, und als er ihn betrachtete, entdeckte er, dass sein Handgelenk und sein Unterarm völlig zerkratzt waren - immer drei parallel verlaufende Linien, als hätte er eine Gabel genommen und sich die spitzen Zinken unablässig über das Fleisch gezogen. Ihm war unbegreiflich, wie die Katze ihn hatte kratzen können - er war doch so viel größer gewesen
als sie! Aber er war müde und hatte Kopfschmerzen, und nach einer Weile gab er es auf, darüber nachzudenken. Es war ganz schön anstrengend, gottgleich zu sein und so groß, dass man alles - wirklich alles - wieder in Ordnung bringen konnte. Er schwankte, als er aufstand, und machte sich auf den Heimweg.
    Seine Eltern waren im Wohnzimmer und stritten wieder einmal miteinander. Jedenfalls saß sein Vater mit einem Bier über der Sports Illustrated und sagte kein Wort, während Kathy vor ihm stand und mit erstickter Stimme auf ihn einredete. In dem Moment erfasste Lee ein schwacher Abglanz jenes absoluten Verständnisses, das ihn erfüllt hatte, als er den Mond reparierte: Plötzlich wusste er, dass sein Vater nicht jeden Abend ins Winterhaus ging, um zu trinken, sondern um sich mit einer Kellnerin zu treffen. Nicht dass seine Eltern die Kellnerin erwähnt hätten; seine Mutter war bloß wütend über die Unordnung in der Garage und darüber, dass ihr Mann mit Stiefeln durchs Wohnzimmer spazierte. Und trotzdem ging es bei alldem irgendwie um die Kellnerin. Lee wusste auch, dass sein Vater irgendwann - in ein paar Jahren vielleicht - fortgehen würde, ohne ihn mitzunehmen.
    Es machte ihm nichts aus, dass sie sich stritten. Aber das Radio, das im Hintergrund lief, ging ihm auf die Nerven, die klirrenden, dissonanten Töne - Töpfe, die eine Treppe hinuntergeworfen wurden, während jemand wie ein Kessel Wasser kurz vor dem Kochen fauchte und plapperte. Das alles trieb ihn fast in den Wahnsinn, und er machte einen kurzen Schlenker zum Radio, um es leiser zu drehen, und erst als er bereits die Hand nach dem Lautstärkeregler ausstreckte, erkannte er das Lied: Es war »The Devil Inside«. Er konnte nicht mehr begreifen, was ihm früher daran gefallen
hatte. In den darauffolgenden Wochen sollte Lee herausfinden, dass er fast gar keine Musik mehr ertrug, dass Musik für ihn völlig bedeutungslos geworden war. Wenn irgendwo ein Radio lief, verließ er das Zimmer und suchte die Stille der eigenen Gedanken auf.
    Als er die Treppe hinaufstieg, war ihm leicht schwindelig. Die Wände schienen bisweilen zu pulsieren, und er wollte nicht aus dem Fenster schauen, weil er befürchtete, dass der Mond wieder am Himmel zucken würde, und vielleicht würde er ihn diesmal nicht reparieren können. Er hielt es für das Beste, wenn er sich hinlegte, bevor der Mond ganz herunterfiel. Er sagte von der Treppe aus Gute Nacht. Seine Mutter bemerkte es nicht. Seinem Vater war es egal.
    Als Lee am nächsten Morgen aufwachte, war sein Kissenbezug voller Blut. Er betrachtete ihn, ohne weiter darüber erschrocken zu sein. Dass er nach alten Kupfermünzen roch, faszinierte ihn eher.
    Ein paar Minuten später stand er unter der Dusche, und eher zufällig senkte er den Blick. Zwischen seinen Beinen floss ein steter Strom rötlich braunen Wassers in den Abfluss, so als hätte sich im Rohr Rost abgelöst. Aber es war kein Rost. Geistesabwesend hob er eine Hand an den Kopf. Er fragte sich, ob er sich vielleicht geschnitten hatte, als er am Abend zuvor vom Zaun gestürzt war. Mit den Fingern erforschte er eine empfindliche Stelle an der rechten Seite seines Schädels. Er berührte eine kleine Vertiefung - und sofort durchzuckte ihn ein heftiger elektrischer Schlag, als hätte jemand einen Fön unter die Dusche gehalten. Für den Bruchteil einer Sekunde sah die Welt wie ein fotografisches Negativ aus. Nachdem sich die Übelkeit ein bisschen gelegt hatte, betrachtete er seine Hand und stellte fest, dass an seinen Fingern Blut klebte.

    Er erzählte seiner Mutter nicht, dass er sich am Kopf verletzt hatte - es schien nicht weiter wichtig zu sein -, und er erklärte ihr auch nicht, wieso sein Kopfkissenbezug blutig war, obwohl sie entsetzt war, als sie die Sauerei entdeckte.
    »Schau dir das an«, sagte

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