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Teufelszeug

Teufelszeug

Titel: Teufelszeug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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Straße war es unangenehm warm gewesen, aber in dem niedrigen, nicht ausgebauten Speicher war es drückend heiß. Über die Balken waren als notdürftiger Boden Sperrholzplatten gelegt worden. Die Decke war zu niedrig, als dass Ig aufrecht hätte stehen können, aber das brauchte er auch nicht. Drei große Kartons mit der Aufschrift MERRIN in dickem rotem Filzstift standen unmittelbar links neben der offenen Falltüre.
    Ig trug sie, einen nach dem anderen, hinunter, stellte sie im Wohnzimmer auf den Couchtisch und durchforstete sie. Während er Merrins Hinterlassenschaften durchsuchte, trank er Dale Williams’ Gin Tonic.
    Ig schnüffelte an ihrem Harvard-Kapuzenpullover und am Hinterteil ihrer Lieblingsjeans. Er kramte in dem Stapel gebrauchter Taschenbücher. Ig las nur selten Romane; er mochte Sachbücher über das Fasten, über Reisen, Camping, Gebäude aus recycelten Materialien und Bewässerungssysteme. Merrin dagegen las lieber Belletristik - anspruchsvolle Sachen aus dem Buchclub. Sie mochte Geschichten, die von Leuten geschrieben wurden, die ein kurzes und tragisches Leben hatten oder wenigstens Engländer waren. Ein Roman musste für sie eine emotionale und philosophische Reise sein, bei der sie auch noch ein paar neue Wörter lernte.
    Sie las Gabriel García Márquez und Michael Chabon, John Fowles und Ian McEwan. Ein Buch klappte auf, als Ig danach griff, und eine Passage war unterstrichen: »Wie ein schlechtes Gewissen doch die Selbstfolter verschärfte, wie es die Einzelheiten gleich Perlen auf eine Endlosschleife zog, die man sein Leben lang wie einen Rosenkranz befingerte.« Und eine weitere Stelle in einem anderen Buch: »Es geht
dem amerikanischen Geschichtenerzähler gegen den Strich, jemand in eine Situation zu bringen, aus der er nicht mehr herauskommen kann, aber im wirklichen Leben ist das, glaube ich, sehr alltäglich.« Ig hörte auf, in Merrins Taschenbüchern zu blättern. Es wurde ihm unwohl dabei.
    Unter ihren Büchern befanden sich auch ein paar von ihm - Bücher, die er seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Eine Statistik-Einführung. The Camper’s Cookbook. Reptiles of New England. Er trank den Gin aus und schlug Reptiles auf. Etwa auf Seite 100 stieß er auf das Bild einer braunen Schlange mit einer Klapper und einem orangefarbenen Streifen auf dem Rücken. Es handelte sich um eine Crotalus horridus, eine Waldklapperschlange, und obwohl sie überwiegend südlich von New Hampshire heimisch war - in Pennsylvania etwa -, war sie auch weiter nördlich bis hinauf zu den White Mountains anzutreffen. Sie griff nur selten Menschen an und war von Natur aus eher scheu. In einem Jahr verstarben mehr Menschen an den Folgen eines Blitzschlags als im ganzen letzten Jahrhundert an einem Biss der horridus . Trotzdem galt ihr Gift als das tödlichste unter allen nordamerikanischen Schlangen; es handelte sich um ein Neurotoxin, das Lunge und Herz paralysiert. Ig legte das Buch wieder zurück.
    Merrins medizinische Fachliteratur und ihre Ringbücher stapelten sich weiter unten in der Kiste. Ig schlug einige davon auf und ließ den Blick über die Seiten schweifen. Sie hatte sich mit Bleistift Notizen gemacht, und ihre sorgfältige, nicht besonders mädchenhafte Schreibschrift war verschmiert und verblasste allmählich. Definitionen chemischer Verbindungen. Der von Hand gezeichnete Querschnitt einer Brust. Eine Liste von Wohnungen in London, die sie für Ig im Netz herausgesucht hatte. Ganz unten in dem Karton
lag ein großer brauner Umschlag. Fast hätte Ig ihm keine weitere Beachtung geschenkt, doch dann zögerte er; sein Blick fiel auf die Bleistiftzeichen in der oberen linken Ecke. Punkte. Und Striche.
    Er öffnete den Umschlag und zog ein Mammogramm heraus, eine blau-weiße Gewebeträne. Sie war auf den Juni letzten Jahres datiert. Im selben Umschlag waren auch noch einige Blätter liniertes Notizpapier mit Igs Namen darauf. Sie waren mit Bleistiftpunkten und -strichen bedeckt. Die vertikalen Verbindungslinien hatte Merrin mit dem Füller gezogen, um ihn wissen zu lassen, dass sie bedeutungslos waren. Ig schob die Blätter und das Mammogramm zurück in den Umschlag.
    Er mixte einen zweiten Gin Tonic und ging damit den Flur hinunter. Als er die Schlafzimmertür öffnete, lag Dale auf der Bettdecke und war eingeschlafen. Er hatte sich die schwarzen Strümpfe fast bis zu den Knien hochgezogen, und seine weißen Boxershorts hatten vorn gelbe Flecken. Sonst war er ein einziger weißer Fleischberg, Bauch

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