Teufelszeug
hatte, sofort wieder umgelegt. Es gab ihm das Gefühl, sie wäre bei ihm, und zwar so nahe, dass sie ihm ihre kühlen Finger in den Nacken legen könnte.
Es war eine mühsame Arbeit, all die Zeilen aus Punkten und Strichen in Buchstaben und Wörter zu übertragen. Aber das war ihm egal. Der Teufel hatte nichts als Zeit.
Lieber Ig,
diesen Brief wirst du nicht zu lesen bekommen, solange ich lebe. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich möchte, dass du ihn liest, wenn ich tot bin.
Puh, das dauert ja ewig! Aber das macht mir nichts aus. Immerhin ein Zeitvertreib, wenn ich in diesem oder jenem Wartezimmer sitze, bis die Untersuchungsergebnisse kommen. Außerdem sorgt es dafür, dass ich mich auf das Wichtigste beschränke.
Ich habe dieselbe Krebsart wie die, an der meine Schwester starb - in meiner Familie ist das erblich bedingt. Ich will dich nicht mit den genetischen Einzelheiten langweilen. Er ist noch nicht weit fortgeschritten, und ich bin mir sicher, wenn du davon wüsstest, würdest du wollen, dass ich dagegen ankämpfe. Aber das werde ich nicht. Ich habe den Entschluss gefasst, dass ich nicht wie meine Schwester sterben möchte. Ich werde nicht warten, bis der Hass auf alles und jeden von mir Besitz ergriffen hat, bis ich den Menschen wehtue, die ich liebe und die mich lieben - und das bist du, Ig, und das sind meine Eltern.
In der Bibel steht, dass Selbstmörder in der Hölle landen, aber meine Schwester ist durch die Hölle gegangen, bevor sie starb. Du weißt das nicht, aber sie war verlobt, als die Krankheit diagnostiziert wurde. Ihr Verlobter hat sie Monate vor ihrem Tod verlassen. Sie hat ihn verjagt, jeden Tag
aufs Neue. Sie wollte von ihm wissen, wie lange er, nachdem sie begraben wäre, warten würde, bis er mit jemand anderem ins Bett springt. Sie wollte wissen, ob er ihr Schicksal ausnutzen würde, um bei anderen Mädchen Mitleid zu heischen. Sie war schrecklich. Ich hätte sie auch verlassen.
Auf all das würde ich gern verzichten. Aber ich weiß noch nicht, wie - wie ich sterben soll. Ich wünschte, Gott würde einen Weg finden, mich möglichst rasch um die Ecke zu bringen, und zwar ohne Vorankündigung. In einem Aufzug zum Beispiel, wenn die Kabel reißen. Zwanzig Sekunden, und schon ist alles vorbei. Vielleicht könnte ich noch auf irgendein Arschloch drauffallen. Auf einen Kinder schändenden Hausmeister vielleicht. Das wäre in Ordnung.
Wenn ich dir sage, dass ich krank bin, dann würdest du, so befürchte ich, deine Zukunft aufgeben und mich bitten, dich zu heiraten, und ich wäre schwach und würde Ja sagen, und dann wärst du an mich gefesselt und müsstest dabei zuschauen, wie sie mich Stück für Stück ausnehmen und wie ich schrumpfe und immer ekelhafter werde und dir die Hölle auf Erden bereite, bis alles, was an dir gut und schön ist, abgestorben wäre. Du möchtest unbedingt glauben, dass die Welt gut ist, Ig, dass die Menschen gut sind. Aber ich weiß, dass ich, wenn ich wirklich krank bin, nicht mehr gut sein kann. Ich wäre wie meine Schwester, das Zeug dazu habe ich.
Ich weiß, wie man Menschen wehtut, und wahrscheinlich könnte ich mich nicht beherrschen. Ich möchte, dass du dich an das Gute in mir erinnerst, nicht an das Furchtbare. Den Menschen, die man liebt, sollte man gestatten, ihre schlimmsten Seiten für sich zu behalten.
Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie schwer es mir fällt, nicht mit dir über all das zu sprechen. Deshalb schreibe ich
dir diesen Brief. Ich muss nämlich irgendwie mit dir reden, und einen anderen Weg gibt es nicht. Eine etwas einseitige Unterhaltung, was?
Du freust dich so sehr darauf, nach England zu gehen, endlich etwas von der Welt zu sehen. Weißt du noch, wie du mir die Geschichte vom Evel-Knievel-Hang und dem Einkaufswagen erzählt hast? So bist du jeden Tag. Stets bereit, Kopf voraus den steilen Abhang des Lebens hinunterzurasen und in den Strom der Menschen einzutauchen. Und dabei Leute zu retten, die in der Ungerechtigkeit zu ertrinken drohen.
Ich kann dir gerade genug wehtun, um dich wegzustoßen. Es wird schlimm, aber es ist besser, als diese Sache einfach laufen zu lassen.
Ich möchte, dass du ein Mädchen mit einem trashigen Cockneyakzent kennenlernst, sie mit in deine Wohnung nimmst und mit ihr vögelst, dass die Fetzen fliegen. Hübsch soll sie sein und unmoralisch und belesen. Nicht so hübsch wie ich, so großzügig bin ich nicht, aber es ist schon okay, wenn sie nicht ganz schlecht aussieht. Hoffentlich schickt
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