Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Teufelszeug

Teufelszeug

Titel: Teufelszeug
Autoren: Joe Hill
Vom Netzwerk:
»Entschuldigen Sie, Ma’am?«
    »Ja?«, sagte Allie Letterworth und schaute erwartungsvoll auf, in der Hoffnung, dass sie und ihre Tochter in das Behandlungszimmer gebeten würden.
    »Ich kann verstehen, dass Ihre Tochter sehr aufgeregt ist, aber wenn Sie nicht in der Lage sind, sie zu beruhigen, dann seien Sie doch wenigstens so rücksichtsvoll, Ihren fetten Arsch in Bewegung zu setzen und Ihre Tochter mit nach draußen zu nehmen, wo wir uns nicht die ganze Zeit ihr Geschrei anhören müssen, ja?« Während sie es sagte, lächelte sie ihr professionelles Plastiklächeln.
    Aus Allie Letterworths Gesicht wich jegliche Farbe, nur auf ihren wächsernen Wangen blieben zornige Flecken zurück. Sie umklammerte das Handgelenk ihrer Tochter. Das kleine Mädchen versuchte sich loszureißen und grub ihre Fingernägel in Allies Hand.
    »Wie bitte?«, sagte Allie. »Was haben Sie gerade gesagt?«
    »Mein Kopf!«, rief die Sprechstundenhilfe. Ihr Lächeln verschwand, und sie tippte sich wütend gegen die rechte
Schläfe. »Mir platzt gleich der Schädel, wenn Ihre Tochter nicht bald …«
    »Sie können mich mal!«, schrie Allie Letterworth, sprang auf und blieb unsicher stehen.
    »… wenn Sie nur einen einzigen Gedanken auf die anderen Patienten verschwenden würden …«
    »Fick dich doch ins Knie!«
    »… dann würden Sie diese kreischende Missgeburt an den Haaren packen und sich verpissen …«
    »Vertrocknete Fotze!«
    »… aber nein, Sie sitzen rum, als wär nichts, und fingern sich einen …«
    »Komm her, Marcy«, sagte Allie und zerrte am Handgelenk ihrer Tochter.
    »Nein!«, sagte das kleine Mädchen.
    »Ich habe gesagt, du sollst herkommen!«, schrie die Mutter und schleifte sie zum Ausgang.
    Auf der Schwelle zur Straße riss sich das Mädchen los. Sie rannte quer durchs Zimmer zurück, stolperte über das Feuerwehrauto und schlug der Länge nach hin. Sofort begann sie wieder zu schreien, durchdringender denn je, rollte sich auf die Seite und hielt ihr blutiges Knie. Allie schenkte ihr keine Beachtung mehr. Stattdessen schleuderte sie ihre Handtasche auf den Boden und fing an, die Sprechstundenhilfe anzubrüllen, die noch lauter dagegenhielt. Igs Hörner fühlten sich auf angenehme Weise prall und schwer an.
    Ig stand dem Mädchen am nächsten, und die Mutter machte keine Anstalten, herüberzukommen. Also nahm er die Kleine am Handgelenk und half ihr auf die Beine. Als er sie berührte, da wusste er, dass sie Marcia Letterworth hieß und ihrer Mutter heute Morgen absichtlich das Frühstück in den Schoß hatte fallen lassen, weil sie von ihr gezwungen
wurde, zum Arzt zu gehen, um sich die Warzen ausbrennen zu lassen, was wehtun würde, außerdem war ihre Mutter gemein und dumm. Marcia wandte ihm das Gesicht zu. Ihre Augen waren voller Tränen, dabei aber so klar und grellblau wie ein Schneidbrenner.
    »Ich hasse Mama«, erklärte sie Ig. »Ich möchte mit Streichhölzern ihr Bett anzünden, wenn sie schläft. Sie soll verbrennen, bis sie weg ist.«

KAPITEL 4
    Die Arzthelferin, die Igs Gewicht notierte und seinen Blutdruck maß, erzählte ihm, dass ihr Exmann etwas mit einem Mädchen hatte, das einen gelben Saab-Sportwagen fuhr. Da sie wusste, wo er geparkt war, wollte sie in der Mittagspause rübergehen und mit ihrem Autoschlüssel einen langen Kratzer in die Türen ritzen. Und Hundescheiße auf dem Fahrersitz hinterlassen. Ig saß, die Hände zu Fäusten geballt, völlig regungslos auf dem Untersuchungstisch und äußerte sich nicht dazu.
    Als die Arzthelferin ihm die Luftmanschette abnahm, streifte sie mit dem Finger seinen bloßen Arm, und da wusste Ig, dass sie schon oft mutwillig die Autos anderer Leute beschädigt hatte: das von einem Lehrer, der sie durch eine Prüfung hatte fallen lassen, weil sie geschummelt hatte; das eines Freundes, der ein Geheimnis ausgeplaudert hatte; das vom Anwalt ihres Exmannes, weil er der Anwalt ihres Exmannes war. Ig sah, wie sie als zwölfjähriges Mädchen mit einem Nagel die Türen des schwarzen Oldsmobile ihres Vaters entlanggefahren war und dabei eine hässliche weiße Linie hineingeritzt hatte.
    Im Untersuchungszimmer war es zu kalt, die Klimaanlage lief auf Hochtouren, und als Dr. Renald endlich hereinkam, zitterte Ig nicht nur vor Nervosität. Er senkte den
Kopf, um dem Arzt die Hörner zu zeigen, und erklärte ihm, dass er nicht mehr wisse, was wirklich sei und was nicht. Er sagte, dass er befürchte, unter heftigen Wahnvorstellungen zu leiden.
    »Die Leute erzählen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher