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Teufelszeug

Teufelszeug

Titel: Teufelszeug
Autoren: Joe Hill
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Ende des Raums befand sich in der Wand ein Fenster, und auf der anderen Seite saß eine Frau an einem Computer. Die Sprechstundenhilfe hatte die Mutter des heulenden Kindes angestarrt, aber als Ig vor ihr stehen blieb, blickte sie auf und lächelte ihn an.
    »Was kann ich für Sie tun?«, fragte sie und griff bereits nach einem Klemmbrett mit mehreren Formularen.
    »Ich möchte gern, dass sich ein Arzt … das hier anschaut«, sagte Ig und hob die Hand, so dass die Hörner zum Vorschein kamen.
    Ihre Augen wurden schmal, dann schürzte sie mitfühlend die Lippen. »Also wirklich, das sieht ja gar nicht gut aus«, sagte sie und wandte sich ihrem Computer zu.
    Was für eine Reaktion Ig auch erwartet haben mochte, diese war es nicht. Sie hatte auf die Hörner reagiert, als hätte er ihr einen gebrochenen Finger oder einen Ausschlag gezeigt - aber sie hatte darauf reagiert. Andererseits: Wenn sie die Hörner wirklich gesehen hätte, dann hätte sie unmöglich einfach so den Blick abwenden können.
    »Ich muss Ihnen ein paar Fragen stellen. Name?«
    »Ignatius Perrish.«
    »Alter?«
    »Sechsundzwanzig.«
    »Haben Sie einen Hausarzt?«
    »Ich war schon seit Jahren bei keinem Arzt mehr.«
    Sie hob den Kopf und musterte ihn nachdenklich, als wollte sie ihn ausschelten, dass er sich nicht hatte regelmäßig untersuchen lassen. Das kleine Mädchen kreischte noch
lauter als zuvor, und als Ig sich umdrehte, sah er, wie sie mit einem roten Plastikfeuerwehrauto - offenbar gehörte es zu den Spielsachen, die hier in einer Ecke für die Kinder bereitlagen - auf das Knie ihrer Mutter eindrosch. Diese riss ihr das Auto aus der Hand. Das Mädchen ließ sich wieder auf den Boden fallen und strampelte mit den Beinen wie eine auf dem Rücken liegende Küchenschabe, wobei sie noch lauter und zorniger heulte als zuvor.
    »Am liebsten würde ich ihr sagen, sie soll der elenden Göre das Maul stopfen«, erklärte die Sprechstundenhilfe in fröhlichem, völlig beiläufigem Tonfall. »Was meinen Sie?«
    »Hätten Sie einen Stift für mich?«, sagte Ig mit trockenem Mund. Er hielt das Klemmbrett in die Höhe. »Ich fülle das dann mal aus.«
    Die Sprechstundenhilfe ließ die Schultern sinken, und ihr Lächeln verschwand.
    »Klar«, sagte sie zu Ig und reichte ihm einen Kugelschreiber.
    Er wandte ihr den Rücken zu und betrachtete die Formulare auf dem Klemmbrett. Aber konzentrieren konnte er sich nicht darauf.
    Sie hatte die Hörner gesehen, ohne den geringsten Anstoß daran zu nehmen. Und dann hatte sie etwas über das heulende Mädchen gesagt und über die hilflose Mutter. Am liebsten würde ich ihr sagen, sie soll der elenden Göre das Maul stopfen. Sie hatte von ihm wissen wollen, ob das okay sei. Genau wie Glenna - bevor sie ihr Gesicht in die Schachtel mit Donuts gesteckt und wie ein Schwein am Trog daraus gefressen hatte.
    Er suchte nach einem Sitzplatz. Es gab zwei leere Stühle, rechts und links neben der Mutter. Als Ig näher kam, holte das Mädchen gerade ganz tief Luft und stieß einen schrillen
Schrei aus, der die Fenster erbeben und einige der wartenden Patienten zusammenzucken ließ. Ihm war, als liefe er gegen eine Sturmbö an.
    Als Ig sich hinsetzte, sank die Mutter auf ihrem Stuhl in sich zusammen. Sie schlug sich mit einer zusammengerollten Zeitschrift auf den Oberschenkel, und Ig hatte den Eindruck, dass sie nur allzu gern nach etwas anderem geschlagen hätte. Das kleine Mädchen schien mit diesem Schrei ihre Reserven erschöpft zu haben und lag jetzt auf dem Rücken, während ihr die Tränen über das hässliche rote Gesicht rannen. Auch ihre Mutter war ganz rot im Gesicht. Sie warf Ig einen verzweifelten Blick zu und verdrehte die Augen. Für einen kurzen Moment schien sie seine Hörner zu bemerken, aber sie wandte sich gleich wieder ab.
    »Tut mir leid wegen dieses Affentheaters«, sagte sie und berührte dabei Igs Hand - eine entschuldigende Geste.
    Als sie das tat, als ihre Haut über seine strich, da wusste Ig, das sie Allie Letterworth hieß und dass sie während der letzten vier Monate mit ihrem Golflehrer geschlafen hatte. Sie traf sich mit ihm in einem Motel unweit des Golfplatzes. Letzte Woche waren sie, nachdem sie besonders heftig miteinander gevögelt hatten, eingeschlafen. Allies Handy war ausgeschaltet gewesen, und so hatte sie von den zunehmend verzweifelten Anrufen aus dem Kindergarten ihrer Tochter nichts mitbekommen - wo sie denn sei und wann sie ihr kleines Mädchen abzuholen gedenke. Als sie schließlich
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