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Teufelszeug

Teufelszeug

Titel: Teufelszeug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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Ende. Den ganzen gestrigen Tag.
    Er war betrunken und tief unglücklich gewesen. Er hatte auf das Kreuz und auf die Jungfrau Maria gepisst, Gott und sein eigenes Leben verflucht, war von Hass auf die ganze Welt erfüllt gewesen - ja, das war wirklich geschehen. Aber dann, in den Stunden danach, an die er sich nicht mehr erinnern konnte, war er zur Gießerei getaumelt und hatte das Bewusstsein verloren. Alles andere war nur ein ungewöhnlich lebhafter Albtraum gewesen; wie er ein Geständnis nach dem anderen gehört und wie Terry ihm sein entsetzliches Geheimnis verraten hatte; wie er die Bremsen des Rollstuhls gelöst und Vera den Hügel hinuntergestoßen hatte; wie er zum Büro des Kongressabgeordneten gefahren und mit Lee Tourneau und Eric Hannity aneinandergeraten war; und wie er sich schließlich in die Gießerei geflüchtet hatte, um sich vor einer Horde liebestoller Schlangen im dem Untergang geweihten Hochofen zu verstecken.

    Mit einem Seufzer der Erleichterung hob Ig die Hände an die Schläfen. Seine Hörner waren knochenhart und von einer unangenehmen fiebrigen Hitze erfüllt. Er öffnete den Mund, um einen Schrei auszustoßen, aber jemand kam ihm zuvor.
    Die Eisenklappe und die gewölbten Backsteinmauern dämpften den Schall, aber er hörte aus großer Entfernung ein durchdringendes gequältes Aufheulen und kurz darauf Gelächter. Ein Mädchen. Sie schrie: »Bitte!« Sie schrie: »Nicht, aufhören!« Ig stieß die Klappe des Ofens auf; sein Puls schlug ihm bis zum Hals.
    Er kraxelte durch die Öffnung in das klare, saubere Licht des Augustmorgens hinaus. Ein weiterer bebender Angstschrei - oder war es ein Schmerzensschrei? - von irgendwo links, jenseits einer Türöffnung, die ins Freie führte. Halb bewusst nahm Ig plötzlich wahr, dass die Stimme rau und kehlig klang, und er erkannte, dass er kein Mädchen hörte, sondern einen Jungen - einen Jungen, dessen Stimme sich vor Angst überschlug. Ig zögerte keine Sekunde, rannte barfuß über den Beton, vorbei an der Schubkarre und dem Haufen Ziegel. Im Laufen griff er nach dem erstbesten Werkzeug, ohne innezuhalten oder zu schauen, was er da erwischt hatte - er wollte einfach etwas in der Hand haben.
    Sie befanden sich draußen auf dem Asphalt: Drei von ihnen waren angezogen, aber einer trug nur weiße Boxershorts und war schlammverschmiert. Der Junge in der Unterhose, hager, mit länglichem Oberkörper, mochte vielleicht dreizehn sein. Die anderen Jungs waren älter und gingen bestimmt schon in die elfte oder zwölfte Klasse.
    Einer von ihnen, ein Kerl mit einem glattrasierten Glühlampenschädel, hockte auf dem fast nackten Jungen und rauchte eine Zigarette. Ein paar Schritte hinter ihm stand ein dicker Kerl in einem weißen Unterhemd. Der Schweiß
lief ihm über das Gesicht, und er hüpfte vergnügt von einem Bein auf das andere, wobei seine Titten wackelten. Der älteste Junge stand weiter links, und in seiner Hand wand sich eine kleine Strumpfbandnatter. Ig konnte es kaum glauben, aber er erkannte sie wieder - es war die Schlange, die ihn gestern so sehnsüchtig angeschaut hatte. Sie wand sich und versuchte, den Jungen zu beißen, aber es gelang ihr nicht. Der dritte Junge hielt eine Gartenschere in der anderen Hand. Ig stand hinter ihnen, in einer Türöffnung zwei Meter über dem Boden.
    »Es reicht!«, schrie der Junge in der Unterhose. Sein Gesicht war bis auf zwei schmale Streifen rosafarbener Haut, wo sich seine Tränen einen Weg durch den Dreck gegraben hatten, schmutzverkrustet. »Hör auf, Jesse! Es reicht!«
    Jesse, der Raucher, der auf ihm hockte, schnippte dem Jungen heiße Asche ins Gesicht. »Halt die Schnauze, Wichsfleck. Es reicht, wenn ich sage, dass es reicht.«
    Wichsfleck war bereits mehrmals mit der Zigarette gebrandmarkt worden. Ig konnte drei leuchtend rote Flecken auf seiner Brust erkennen. Jesse fuhr mit der Zigarette knapp drei Zentimeter über der Haut von einem Brandmal zum nächsten. Die Glut beschrieb ein Dreieck.
    »Weißt du, warum ich dir ein Dreieck eingebrannt hab?«, fragte Jesse. »Weil das die Nazis mit den Schwuchteln so gemacht haben. Du wärst vielleicht glimpflicher davongekommen, aber du musstest ja kreischen, als würde dich jemand in den Arsch ficken. Außerdem stinkst du aus dem Maul, als hättest du gerade einen Schwanz gelutscht.«
    »Ha!«, rief der dicke Junge. »Das ist komisch, Jesse!«
    »Ich hab da was, mit dem kriegen wir den Schwanzgeruch ganz schnell weg«, sagte der Junge mit der Schlange.

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