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Teufelszeug

Teufelszeug

Titel: Teufelszeug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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sein Kopf - alles war vom gleichen Dröhnen und Brummen erfüllt, vom Gesang der Heuschrecken, vom Ruf der Männchen nach den Weibchen, vom unablässigen und immer gleichen Signal, das ihn in den Wahnsinn trieb.
    Die Hörner. Die Hörner waren Teil dieses Kopulationsgeschreis. Sie sendeten ohne Pause auf WSNK, Radio Schlange: Das nächste Stück ist für alle doppelzüngigen Lüstlinge dort draußen. Und los ging’s mit »Tube Snake Boogie«. Die Hörner riefen die Schlangen aus den Schatten, lockten sie aus ihren Verstecken ins Licht.
    Nicht zum ersten Mal überlegte er, ob er die Hörner nicht einfach absägen sollte. In der Schubkarre lag eine verrostete lange Säge mit Hakenzähnen. Aber die Hörner waren ein Teil seines Körpers, sie bildeten eine Einheit mit seinem Schädel und dem Rest seines Skeletts. Er drückte den Daumen auf die Spitze des linken Horns, bis er einen scharfen Stich verspürte, und als er die Hand zurückzog, quoll ein rubinroter Blutstropfen daraus hervor. Seine Hörner waren das Realste und Solideste, was ihm geblieben war, und er versuchte sich vorzustellen, wie sich die Zähne der Säge in sie hineinfraßen. Er malte sich die reißenden Schmerzen aus und das Blut, das hervorspitzen würde, und
erschauderte. Genauso gut konnte er sich den Fußknöchel durchsägen. Um die Hörner zu entfernen, brauchte er ein ziemlich potentes Betäubungsmittel und einen Chirurgen.
    Nur dass jeder Chirurg, der in ihre Nähe kam, die Betäubungsmittel der nächstbesten Krankenschwester verabreichen und sie dann, nachdem sie bewusstlos geworden war, auf dem Operationstisch vögeln würde. Ig musste einen Weg finden, das Signal abzuschalten, ohne sich zu verstümmeln - er musste dafür sorgen, dass Radio Schlange die Sendeerlaubnis entzogen wurde.
    Solange ihm das nicht möglich war, blieb ihm nichts anderes übrig, als irgendwohin zu gehen, wo es keine Schlangen gab. Er hatte seit zwölf Stunden nichts mehr gegessen. Am Samstagvormittag arbeitete Glenna im Friseursalon, stylte Haare und zupfte Augenbrauen. Er hätte die Wohnung und ihren Kühlschrank für sich. Außerdem hatte er dort noch Bargeld rumliegen und den Großteil seiner Klamotten. Vielleicht konnte er ihr wegen Lee eine Nachricht hinterlassen. Liebe Glenna - hab mir nur schnell ein Sandwich gemacht und ein paar Sachen mitgenommen. Ich werd’ne Weile weg sein. Geh Lee Tourneau aus dem Weg, er hat meine letzte Freundin umgebracht. Alles Liebe, Ig.
     
    Er stieg in den Gremlin und stand eine Viertelstunde später an der Ecke vor dem Haus, in dem Glenna wohnte. Als er die Wagentür öffnete, schlug ihm eine brüllende Hitze entgegen. Ig machte das jedoch nichts aus.
    Er fragte sich, ob er vielleicht ein paarmal um den Block hätte fahren sollen, um sicherzugehen, dass die Bullen ihm nicht auflauerten, weil er Lee Tourneau gestern mit einem Messer bedroht hatte. Dann beschloss er, einfach hineinzugehen und es darauf ankommen zu lassen. Falls Sturtz und
Posada auf ihn warteten, würde er mit einem Wink seiner Hörner dafür sorgen, dass sie sich gegenseitig an die Wäsche gingen. Bei der Vorstellung musste er grinsen.
    Doch bis auf seinen Schatten, der vier Meter groß und gehörnt war und ihm den ganzen Weg zum obersten Stockwerk vorauseilte, blieb Ig in dem hallenden Treppenhaus alleine. Glenna hatte die Tür nicht abgeschlossen, was untypisch für sie war. Er fragte sich, ob sie mit den Gedanken anderswo gewesen war, ob sie sich vielleicht Sorgen um ihn machte und sich fragte, wo er nur steckte. Vielleicht hatte sie aber auch nur verschlafen und war in Eile gewesen. Das war sehr wahrscheinlich der Grund. Ig hatte immer als ihr Wecker fungiert. Er hatte sie wachgerüttelt und ihr Kaffee gemacht. Glenna war kein Morgenmensch.
    Ig schob vorsichtig die Türe auf. Gestern Morgen erst hatte er die Wohnung verlassen, und trotzdem hatte er beim Umherblicken das Gefühl, nie hier gewohnt zu haben und Glennas Zimmer zum ersten Mal zu sehen. Die Möbel waren vom Trödel: ein fleckiges Sofa mit Cordbezug und ein Knautschsessel, aus dem die Polsterung herausquoll. Von ihm fand sich hier fast gar nichts - weder Fotos noch andere persönliche Dinge, nur ein paar Taschenbücher auf dem Regal, ein paar CDs und ein sorgsam poliertes Ruder mit zahlreichen Unterschriften darauf. Das Ruder stammte von seinem letzten Sommer im Camp Galilee - er hatte Speerwerfen und Schwimmen unterrichtet. Damals war er zum »Botschafter des Jahres« gewählt worden. Alle anderen

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