Teufelszorn - Funkenfluch (German Edition)
sich, den Gedanken, dass er beim Aufstieg aus dem Tobel wie Sisyphos’ Stein immer wieder ins Bachbett hinunterrollte, gar nicht erst zu denken.
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Es dämmerte, und die Luft war kühl, als hätte es diesen warmen Herbsttag gar nicht gegeben. Der Abt streichelte den Bauch, blickte auf die flackernden Kerzen neben dem Weinkrug und versuchte sich damit abzufinden, dass die abgenagten Hühnerknochen wohl zum letzten Mal auf den Holztellern im Freien lägen. Er hörte sie schon, die pfeifenden Winde und Stürme, die Regen und Schnee verhießen, und er sah sie vor sich, die sich biegenden und brechenden Tannen.
Mit Schaudern strich er sich mit dem Handrücken über die Lippen und schob die düstere Vorstellung beiseite.
Fertig Trübsal geblasen!
Jede Sekunde dieses Herbstabends würde er genießen!
Schließlich kamen sie genug früh, die klirrend kalten Tage, es genügte, wenn er dann einen Durchhänger hatte und schlotternd und mit unterkühltem Ohrstübchen durch die gefrorene Landschaft stolperte.
Warum also jetzt schon hadern?
Er griff nach dem Weinbecher und hob ihn in die Höhe.
«Lena, die Hähnchen waren wunderbar. Die Kräuterfüllung, ein Schmaus, ein Gaumenzauber. Und erst die feine Kruste! Selten habe ich so gut gespeist!»
«Ich freue mich, dass wenigstens Euch das Essen geschmeckt hat.»
Ihr Blick traf den Prinzen, der, auf einem Rosmarinzweig kauend und zum Waldrand starrend, gerade schweres philosophisches Geschütz durch seine Hirnwindungen zu schieben und sich vom Geschehen am Tisch ausgeklinkt zu haben schien.
«Wenn Ihr wollt, schreib ich Euch das Rezept auf, aber jetzt hol’ ich den Nachtisch. Was wünscht Ihr? Birnen oder Äpfel, Honig oder Eierkuchen?»
«Voll ist es, das kugelrunde Bäuchlein, so schwer und voll, dass man damit den strengsten Winter durchsteht. Noch ein wenig mehr, und ich gehe nicht, sondern rolle zurück ins Kloster!»
«Aber ich will noch vom Eierkuchen. Und vom Honig!»
Arno, der den Tisch vor einigen Augenblicken verlassen hatte, war zurück. Seine Forderung fegte wie ein frischer Windstoß über die Reste des üppigen Mahls und brachte Lena zum ersten Mal an diesem Abend zum Lachen.
«Natürlich, du Nimmersatt», sagte sie und gab ihm einen Nasenstüber, «bald ist die Vorratskammer des Klosters leer! Und warum? Weil ein kleiner Mann im Wald wohnt und ein riesiges Loch im Bauch hat, das nicht zu stopfen ist! Denk an die armen Brüder, die müssen im Winter die Gürtel enger schnallen. Und das wegen eines gefräßigen Leckermauls!»
«Ach was», kam es wie aus der Pistole geschossen, «Bruder Max und Bruder Johannes müssen nicht hungern, sie haben fast so runde Bäuche wie Pater Clemens. Und in der Vorratskammer kann man sich kaum mehr bewegen. Überall stehen dicke Getreidesäcke und volle Weinfässer, die Gestelle bersten beinahe, so viele Äpfelkörbe und schwere Käselaibe gibt es, und von der Decke hängen geräucherte Schinken, Dutzende, und noch viel mehr Würste. Das habe ich selber gesehen, gestern nach der Lateinstunde.»
«Schinken und Würste, sind wir denn im Schlaraffenland?»
Die Wortmeldung war überraschend, der Ton bissig und der Feldherrenblick finster – alle schauten sie zu Ferdinand und schienen sich darauf einzustellen, dass sie nun etwas hören würden, was nicht in Watte und Samt gepackt war und in selbstherrlicher Fürstenmanier über den Tisch fegen würde.
«Das Jahr war gut.»
Der Abt sagte es leise, denn er spürte, dass alles, was ihm über die Lippen rutschte, dem Prinzen in den falschen Rachen geraten konnte.
«Trotz der Frosttage und dem vielen Regen im Frühsommer.»
«So! Mhhh.»
«Die Ernte war üppig, überall im Land. Die Ochsengespanne versanken in den Spurrinnen, so schwer waren sie mit dem Zehnten beladen. Sogar Dettler konnte einen Teil seiner Schulden zahlen. Gott meint es dieses Jahr gut mit uns Menschen, erfreulich gut.»
«Gut», knurrte Ferdinand, «wenn Ihr meint, gut!»
«Ihr hört Euch an, als läge Euch etwas auf dem Herzen. Was ist es, das Euch bedrückt?»
Ferdinand gab ihm keine Antwort, presste stattdessen zweimal den Atem durch die Nase und spuckte den Rosmarinzweig aus.
«Etwas wurmt Euch, das kann ich in Eurem Gesicht lesen!»
«Mein Gesicht also!»
Der Prinz schürzte die Lippen und blickte zu Boden, als wollte er die Ader verbergen, die auf seiner Stirn dicker und dicker wurde.
«Dieses Waldloch stinkt! Satt habe ich es, satt! Sechs Jahre sind es her, sechs Jahre drehe ich
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