Teuflisch erwacht
Er darf zusehen, wie ich mein Versprechen wahr mache.«
Sebastian schloss die Augen. Er sollte mit ansehen, wie Josh Anna die Haut vom Leib schälte? Sein Bruder war mehr als ein schrecklicher Sadist.
»Jonathan, du hast versprochen …«, stammelte Antonio.
»Mein Sohn wird sie herholen«, entgegnete Jonathan hart.
Sebastian wusste, dass er Josh nur zustimmte, um Macht zu demonstrieren. Er begegnete Antonio ohne einen Hauch Respekt und zeigte, dass er am längeren Hebel saß.
»Schau mich an, Sebastian.«
Er gehorchte nicht, sondern presste die Lider noch fester zusammen.
Jonathan knurrte, packte ihn und warf ihn einhändig auf das Sofa.
Wieso saß er dauernd zwischen den Stühlen? Er war menschlicher als ein Mensch. Er ertrug es nicht, Anna zu verlieren, aber ebenso schmerzte die Wut seines Vaters. Er war die reinste Enttäuschung in jeglicher Hinsicht. Er wünschte sich an den Zeitpunkt zurück, an dem er beschlossen hatte, Franks Gabe zu stehlen. Wenn er noch mal die Möglichkeit bekommen würde, zu wählen, dann würde er den Empathen links liegen lassen. Ohne diesen Gefühlsmist wäre er noch jemand. Ein Magier, mit unbeugsamem Willen.
»Schau mich an!«, donnerte Jonathan.
Ein Fluch traf ihn und riss ihm die Lider hoch. Der Magie seines Vaters hatte er nichts entgegenzusetzen. Jonathan Fingerless war das stärkste Raubtier auf diesem Planeten.
»Du bist ein Fingerless . In dir lebt die Dunkelheit. Dein Körper und deine Seele gehören der Magie und es gibt keinen Platz für Schwäche in deinem Leben. Und deshalb wirst du dich jetzt zusammenreißen. Du hast genug Unfug angestellt und kannst froh sein, dass ich dich am Leben lasse. Josh wird das Menschenmädchen herholen und du wirst sie töten.«
Er bekam eine zweite Chance. Sein Vater bot ihm an, die Welt ins Reine zu bringen. Er konnte sich zu seinem Naturell bekennen, seinen Gefühlen ein Ende setzen und sich Jonathans Respekt verdienen. Sein Vater drehte die Zeit zurück. Nicht an den Punkt, an dem es begonnen hatte, aber immerhin dorthin, wo er sich neu entscheiden konnte. Wie oft er das Blatt auch neu wendete, seine Entscheidung blieb dieselbe. Liebe war es wert, daran zu zerbrechen. Wie sollte er es übers Herz bringen, ihr auch nur ein Haar zu krümmen? Er war ein Egoist gewesen, ihre Nähe zu suchen und er hatte sie damit ins Verderben gerissen. Aber wenn sie starb, dann mit der Gewissheit, dass er sie liebte. Denn anders wollte auch er nicht sterben. »Ich kann nicht«, flüsterte er.
Jonathan hob die Hand und ballte sie zur Faust.
In Sebastian explodierte die Dunkelheit. Wie Feuer brannte sie durch seinen Körper, schlug monsunartige Wellen durch seine Adern und schlang ihre finsteren Tentakel um seine Seele. Die schwarze Magie verpestete augenblicklich seinen Verstand. Was war los? Woher kam der Rausch? Sebastian zitterte und sein Herz schlug wie ein Trommelwirbel. Düstere Triebe entfachten ein Feuer und dunkle Wünsche erwachten aus den Tiefen seines Seins. Sein Vater kitzelte sie wach. Er lockte den Magier hervor. Jonathan packte ihn an der Stelle, an der er machtlos war.
»Du wirst sie töten«, zischte er.
Annas liebliches Gesicht brach aus seinem Gedächtnis. Ihr Lächeln und ihre wunderschönen, unschuldigen Augen. Zwischen all den dunklen Fäden, die das finstere Feuer um sein Herz knotete, leuchtete ihr Bild wie der Morgenstern. Wie war das möglich? Selbst der Magier in ihm liebte sie abgöttisch.
»Das ist dein Verderben, Bruder«, sagte Josh und grunzte.
»Was stehst du hier noch rum?«, blaffte sein Vater. »Du hast gesagt, du schaffst das Teufelsweib hierher, also mach dich auf die Socken.«
»Bin schon weg.«
»Lebendig, Josh. Verstanden? Dein Bruder braucht die Therapie.«
Sebastian atmete schnell und flach. Die dunkle Magie, die seine Seele vergiftete, wollte zerreißen, quälen, töten. Er beherrschte sie nicht, hatte es vermutlich nie getan. Einbildung war auch eine Bildung. Doch zwischen all den dunklen Strängen, die seinen Verstand zerfraßen, fasste er einen glasklaren Entschluss. Wenn Anna starb, würde er das Tier, das in ihm lebte, gegen sich richten. Ein letztes Mal würde er das tun, wozu er bestimmt war. Er würde einen grausamen Mord begehen, vielleicht den grausamsten, den er je verübt hatte. Sein Gegner war stark, aber besiegbar. Sebastian konzentrierte sich, ruhig zu werden, die Bestie in sich in Handschellen zu legen. Sie brauchte ihre Kraft noch. Denn es würde ein anstrengender Kampf werden,
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