Teuflisch erwacht
Salim hatte das Ritual erklärt. Sie konnte immer noch den Engel beschwören und damit für eine ganz große Überraschung sorgen. Aber wie sollte sie das anstellen, ohne dass er es in ihren Gedanken las? Hatte sie es überhaupt geschafft, in seiner Gegenwart nicht eine Sekunde darüber nachzudenken? Vermutlich schon, denn sonst säße sie nicht halbwegs unversehrt im Wagen. Sie ließ den Blick durchs Auto schweifen. Spiegel gab es mehr als genug. Aber wie sollte sie es anstellen? Sie kannte ja nicht mal den Namen des Engels. Sie seufzte tief. Hoffentlich bot sich die Gelegenheit noch, sonst saß sie wirklich tief in der Tinte. Ihre Gedanken wanderten zu Marla. Ein stechender Schmerz lähmte die linke Brustseite. Sie hatte sie zurückgelassen, ganz allein. Aber Josh hätte sie sicher getötet, wenn sie auf die Idee gekommen wäre, ihr irgendwie zu helfen. Ob sie jemand fand? Salim hatte sicher Kunden, die früher oder später seine schäbige Wohnung aufsuchen würden. Sie bezweifelte allerdings, dass es sich bei seinen Kunden um Menschen handelte, die ihre Hilfe anbieten würden. Vermutlich nahmen sie Reißaus, wenn sie das Schlachtfeld erblickten. Anna rieb sich die Schläfen. Egal, wie sehr sie sich sorgte, sie konnte ja doch nichts unternehmen.
Josh trat ins Freie, beladen mit allerhand Sachen. Er kam zum Auto und klopfte mit dem Ellbogen gegen die Scheibe.
Anna beugte sich über den Fahrersitz und öffnete ihm die Tür.
»Hier. Was dein Herz begehrt.« Er reichte ihr einen dampfenden Kaffeebecher, eine Cola und tatsächlich etwas zu essen. Verstand einer seine Anwandlungen?
»Du hast eben gedacht, dass du Durst hast. Also dachte ich, ich bin mal nett, obwohl es schon mutig von dir war, mich zur Tankstelle zu bitten.«
»Ich hab dich nicht gebeten. Du interpretierst bloß meine Gedanken, wie du willst.«
Er grinste und drehte den Schlüssel in der Zündung.
Anna packte ihn am Handgelenk. »Schluss mit den Spielchen. Was hast du vor?«
Josh zuckte. »Ich starte den Motor?«
»Das meine ich nicht. Warum machst du einen auf nett? Wohin fahren wir? Was wird das?«
Seine Augen blitzten auf. »Also erstens nimmst du besser deine Hand von meinem Arm, denn ich kann es gar nicht leiden, wenn man mich ungefragt anfasst, und zweitens bist du nicht in der Position, Fragen zu stellen.«
»Ist mir egal. Ich hab ja nichts zu verlieren, wie du schon sagtest. Wenn du mich tot sehen wolltest, wäre ich tot. Also?« Sie rührte die Hand nicht von der Stelle.
»Trink deinen Kaffee und halt den Schnabel.« Josh startete den Motor und ließ den Wagen zurückschnellen.
Anna griff Halt suchend in die Polster. Übelkeit stieg in ihr auf.
»Braves Mädchen.«
Sie fuhren schweigend weiter. Josh war ein wahrer Meister im Nichtssagen. Er schien Sebastians Leidenschaft fürs Autofahren zu teilen, denn irgendwann lehnte er seinen Kopf entspannt gegen die Kopfstütze und versank in seinen Gedanken, während die Räder über den Asphalt schnurrten. Anna schielte zu ihm hinüber. Er sah fast menschlich aus, wie er da saß und mit verträumtem Blick den Wagen lenkte. »Du bist ihm ähnlich«, stellte sie fest, wohl wissend, dass ihn die Worte wurmten.
»Findest du, ja? Aus deinem Mund wohl das größte Kompliment, das ich kriegen kann.« Er lächelte.
So hatte sie es nicht gemeint.
»Nein, natürlich hast du es nicht so gemeint.« Seine Mundwinkel zuckten, bevor er sich zu einem Lächeln entschied.
Anna schlürfte von ihrem Kaffee. Die heiße Brühe floss belebend ihre Kehle hinab. Sie ließ ihren Blick auf Josh ruhen.
Er spannte an und setzte sich aufrecht.
»Unangenehm?« Wenn er nicht sagen wollte, wohin sie fuhren und was er im Schilde führte, würde sie ihn die ganze Fahrt nerven. Schon immer hatten die Leute ihr einen ausgesprochenen Dickkopf angedichtet und nun konnte sie den Charakterzug in die Tat umsetzen.
Er schüttelte den Kopf. »Nicht halb so schlimm wie für dich.«
»Warum tut ihr das alles?« Die Frage geisterte ihr schon eine Weile im Kopf herum, aber da er nicht auf die Idee kam, sie zu beantworten, fragte sie geradeaus. »Warum tötet ihr Menschen? Ihr wollt Macht demonstrieren? Ihr seid mächtig. Wenn ihr es anständig auf die Beine stellen würdet, würden die Menschen zu euch aufblicken. Niemand will euch den Platz streitig machen. Das könnte doch gar keiner.«
Er legte die Stirn in Falten und schien zu grübeln, bevor er zu einer Antwort ansetzte. »Deine Frage beruht auf der Annahme, dass wir
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