Teuflisch erwacht
sich war, musste er sich eingestehen, dass er den Fingerless in nichts nachstand. Außer, dass er es tat, um seine Berufung zu erfüllen. Auch Gottes Wege pflasterten eben Leichen – mehr oder minder blutig.
27. Kapitel
Familien
E s ging streng auf Mittag zu, als Josh das Tempo des Wagens drosselte. Er hatte seit einer Stunde nicht mit Anna gesprochen. Vermutlich dachte er, sie damit zu bestrafen, weil sie angesprochen hatte, was sie beide dachten. Er wollte wohl ebenso wenig mit ihr befreundet sein wie sie mit ihm. Aber wer auf dieser Welt bekam schon, was er wollte? Das Leben war ein Tanz mit vielen Pirouetten und manchmal wählte das Herz eben einen Tanzpartner, bei dessen Drehungen einem schwindlig wurde.
»Schau nach links«, sagte er plötzlich.
Anna erwachte aus ihrem Tagtraum und ließ den Blick wandern. Eine riesige, graue Festung reckte sich bedrohlich dem Himmel entgegen. Die verschiedenen Türme erinnerten an eine Ritterburg. »Hier wohnen die del Rossis?« Sie hatte ja schon viel Luxus gesehen und sicher auch einige Reichtümer bei den italienischen Magiern erwartet, aber das überstieg ihre Vorstellungskraft.
Josh lachte auf. »Nein, Dummerchen. Irgendwann eben dachtest du mal, dass du noch nie in Italien warst. Ich finde, ein paar Sehenswürdigkeiten solltest du dir also ansehen. Das ist die Burg von Neapel, das Castel Nuovo. Die Festung diente verschiedenen Königen als Residenz.«
Das konnte einfach nicht sein Ernst sein. Hielt er das alles für einen großen Spaß? Anna öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber ihr blieb die Luft weg. Er spielte den Fremdenführer? Ihr war ganz gewiss nicht danach, fröhlich nach Sehenswürdigkeiten Ausschau zu halten.
Josh zuckte die Schultern. »Wir kommen noch früh genug zu spät.«
»Super. Könntest du diese blöden Scherze mal lassen? Ich sitz nicht zu deiner Belustigung im Wagen.«
»Du hast einfach keinen Humor, Anna. Irgendwann endest du als verbitterte alte Frau.«
Klar, verbittert vielleicht. Aber zum Altwerden fehlte ihr wohl die Zeit.
»Vertraust du mir?«, fragte er leise.
»Nicht in tausend Jahren.«
Er rollte die Augen. »Mein Vater hat uns gelehrt, dass es durchaus Menschen gibt, die ein Leben verdienen. Er hat uns angewiesen, erst einen Blick auf die Person, die hinter dem Talent steht, zu werfen, bevor wir uns die Gabe nehmen. Meistens ist es verschwendete Zeit, aber in ganz großen Ausnahmen bin ich auf Leute gestoßen, bei denen ich den Tod bedauert habe.«
»Und warum hast du sie dann getötet?«
»Ich kann nicht anders.«
Und was zur Hölle wollte er ihr damit sagen? Dass es ihm leidtat, wenn sie starb? Auf sein Mitleid konnte sie ebenso gut verzichten wie er auf ihres.
»Ich wollte dir damit sagen, dass mein Vater bereit ist, ein Leben zu verschonen. Ich habe es zwar noch nicht erlebt, aber es ist denkbar. Du hast Kira besiegt, nicht davor zurückgeschreckt, einen Menschen zu töten, und ihm die Stirn geboten. Ich könnte mir vorstellen, dass ihn das beeindruckt.«
Sie ging lieber drauf, als die Anerkennung von Jonathan Fingerless zu ernten. Wie furchtbar musste ein Mensch sein, wenn er auf ihn stand?
»Entsetzlich furchtbar, nehme ich an. Aber es macht auch keinen Sinn, sich weiter zu belügen. Oder? Abgesehen davon muss mein Vater erst einmal an mir vorbei, wenn er dir was tun wollte.«
»Und du glaubst, er hat Angst vor dir?« Sie stieß die Luft zwischen den Zähnen aus. Sarkasmus und Ironie gaben einander die Hand. Jonathan Fingerless kannte keine Angst, denn es gab niemanden, der sich ihm widersetzen konnte.
»Ich bin stärker als er, er weiß es bloß noch nicht.« Josh zwinkerte ihr zu.
Was war in ihn gefahren? Zuvor hatte er noch erwähnt, dass er nicht versprechen konnte, dass sie überlebte, und nun versuchte er, ihr genau das zu verklickern?
»Bin manchmal etwas sprunghaft«, erklärte er grinsend.
Sie beließ es dabei und sah zum Fenster hinaus. Der Wagen rollte durch eine ärmliche Straße, große Müllberge türmten sich an der Straßenecke auf. Sie hatte in den Nachrichten gesehen, dass das Geschäft mit illegalem Müll eines der Haupteinnahmequellen der Mafia war, und hatte es für einen schlechten Scherz gehalten. Doch es schien der Wahrheit zu entsprechen.
»Ja, die Ökomafia macht ihre Kohle damit. Als Mensch wollte ich hier nicht wohnen. Es heißt, sie werden alle krank. Krebs und so was.« Josh bog um eine Ecke.
In der Ferne glänzte das Mittelmeer. Die Kluft zwischen Wohlstand
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