Teuflische Freunde: Roman (German Edition)
sie an. »Deine Worte sind Musik in meinen Ohren.«
11
Ein ereignisloses Wochenende machte Platz für eine höllische Woche, als ob jeder Verbrecher sich seine Aktivitäten für die reguläre Arbeitszeit aufgehoben hätte. Am Dienstagnachmittag um halb fünf fand Decker endlich Zeit für die Mittagspause, als Marge in sein Büro kam. Über der Schulter hing ihre schwarze Handtasche, und die Autoschlüssel hielt sie in der Hand. »Bin auf dem Weg zu Kevin Stanger.«
»Zu wem?«
»Dem Mobbingopfer, der von der Bell and Wakefield abgegangen ist. Warum ich mir das antue, ist eine ganz andere Sache. Zunächst mal haben wir jetzt den toxikologischen Bericht über Gregory Hesse. Keine Drogen. Er hatte einen Blutalkoholspiegel von 0,5, was bei einem Jungen seiner Statur vermutlich auf ein paar Biere hindeutet.«
»Vielleicht musste er sich für seine Tat Mut antrinken.«
»Könnte sein«, sagte Marge. »Aber es ist und bleibt eine Tatsache, dass er sich selbst erschossen hat und keineswegs high genug war, um nicht mehr zu wissen, was er tut.«
»Wir vermuten ja alle einen Selbstmord. Wir fragen nur nach dem Motiv.«
»Eine Frage, die wir eventuell nie beantworten werden, weil Wendy Hesse anscheinend einen Sinneswandel durchlaufen hat. Seit meinem Besuch letzten Donnerstag habe ich nichts mehr von ihr gehört. Hat sie sich bei dir gemeldet?«
Decker schüttelte den Kopf. »Vielleicht sollten wir uns gar nicht um Kevin Stanger kümmern.«
»Der Junge hat zugestimmt, mit uns zu reden, Pete. Die Polizei stünde da wie ein Idiot, wenn ich ihm jetzt freundlich absage.«
»Ich bin gerade einmal nicht total überlastet. Lust auf Begleitung?«
»Sicher? Ich weiß, dass du immer viel zu tun hast.«
Decker schnappte sich sein Jackett. »Ich muss raus. Ich sitze seit sechs Uhr hier und habe noch kein Tageslicht gesehen.«
»Dann beeil dich lieber. Die Sonne geht schnell unter.«
»Stimmt, selbst ein lebloser Stern weiß, wann Schluss ist.«
Von seiner Statur her sah Kevin Stanger nicht wie das typische leichte Mobbingopfer aus. Er war circa einsachtundsiebzig groß, knapp siebzig Kilo schwer, und sein Rücken wirkte recht muskelbepackt. Sein Gesicht sprach eine andere Spra che. Es war rund, ohne markantes Kinn, und auf den Backen prangte Akne. Er trug eine Zahnspange. Seine Haare standen wild ab, und seine braunen Augen versanken unter dicken Augenbrauen. Schon vor der Begrüßung strahlte er eine mutlose Grundeinstellung aus.
Der Junge führte sie ins Wohnzimmer und bot ihnen Plätze auf dem Sofa an. Dann blickte er kurz aus dem Panoramafenster und setzte sich selbst hin. Seine Beine zitterten um die Wette. »Wir müssen uns beeilen«, sagte er. »Meine Mom kommt gegen sechs nach Hause.«
Auf Marges Uhr war es zehn nach fünf. »Du hast mir gesagt, deine Mutter sei hiermit einverstanden.«
»Na ja, irgendwie schon. Sie hat nicht Nein gesagt.« Kevin trug ein Sweatshirt und eine Schlafanzughose. Sein Gesicht war rot angelaufen. »Mir ging’s nicht so gut, und deshalb hab ich beschlossen, die beiden letzten Stunden ausfallen zu lassen. Aber ich hab einem der Schulleiter Bescheid gesagt, Mrs. Holloway. Sie meint, ich darf nach Hause gehen, wenn meine Mom damit einverstanden ist. Na ja, ich weiß nicht, ob sie damit einverstanden wär, da ich sie nicht angerufen hab. Weil ich mit Ihnen reden wollte, ohne um Erlaubnis fragen zu müssen. Manchmal ist es einfacher, die Eltern rauszuhalten.«
Decker nickte. »Was kannst du mir über Greg erzählen?«
»Er war voll in Ordnung.«
»Niemand scheint mit ihm Probleme gehabt zu haben«, sagte Marge.
»Ja, ich dachte, Greg kriegt’s hin.« Er kratzte sich am Kopf. »Vielleicht dann doch nicht. Wenn er schwere Zeiten durchgemacht hat, wünschte ich, er hätte mir was davon gesagt. Er sagte aber nie was.«
»Könntest du uns erzählen, was du durchgemacht hast?«, fragte Decker.
»Es ist schwer, darüber zu reden.«
»Sag, was du sagen kannst«, ermunterte ihn Marge.
»Ich dachte, ich komm damit klar, aber nach einem Jahr hatte ich’s satt. Meine Mom wollte zur Verwaltung gehen, aber ich hab ein Machtwort gesprochen. Wir wohnen immerhin noch hier.«
»Was haben sie gemacht?«
»Es geht gar nicht um die körperlichen Schikanen.« Kevin blickte sie an. »Also, sie schubsen dich rum und so, aber das war nicht das Schlimme daran. Es war dieser andauernde Terror.«
»Joey Reinhart nannte es Crowding.« Decker zückte seinen Notizblock.
»Ja, sie umzingeln dich in der Schule
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