Teuflische List
hatte viele Jahre damit leben müssen, bevor Ralph in ihr Leben getreten war und sie fortgeholt hatte.
»Lass es, Silas«, sagte sie. »Bitte, für Abigail.«
Er betrachtete sie voller Abscheu. »Dann solltest du wohl besser zu ihr gehen«, sagte er. »Sie ist oben im Musikzimmer.«
»Würdest du Olli gerne für eine Weile haben?«, fragte Jules.
»Aber sicher doch«, antwortete Silas kalt.
Nun, da sie wieder Cello spielte, erkannte Abigail, wie wundervoll es für sie war.
Wie früher schon, wenn es ihr schlecht gegangen war, umgab sie sich mit Musik und ließ ihre Ängste und ihren Schmerz darin untergehen.
Sie hörte weder ein Klopfen noch vernahm sie, wie die Tür sich öffnete.
Ihre Musik erfüllte ihre Ohren, ihre ganze Welt.
Jules wartete noch einen Augenblick auf der Schwelle; dann hob sie die Hand und klopfte noch einmal kräftig von innen gegen die Tür.
»Ich bin es. Jules«, sagte sie.
Abigail senkte den Bogen. Ihr Herz schlug schneller vor Anstrengung und innerer Bewegung.
»Jules«, sagte sie atemlos. »Gott sei Dank.«
»Ich will dich nicht stören«, sagte Jules. »Soll ich warten, bis du fertig bist?«
»Mit dem Krachmachen, meinst du?«
»Der Krach war wunderschön«, erwiderte Jules.
»Wie auch immer«, sagte Abigail. »Du störst mich nicht.« Sie hielt noch immer das Cello. »Ist Olli hier?« Sie neigte den Kopf und lauschte.
»Er ist unten«, antwortete Jules, »mit Silas.«
»Okay«, sagte Abigail.
»Und ich werde jetzt die Tür schließen«, verkündete Jules und tat es auch. »Was machen deine Augen?«
»Die Welt um mich herum nimmt allmählich wieder Gestalt an«, antwortete Abigail. »Allerdings ist noch immer alles verschleiert.«
»Und du?«, fragte Jules. »Wie fühlst du dich?«
»Mir geht es gut.« Abigail hielt kurz inne und lauschte. »Hast du es?«
»In meiner Tasche«, antwortete Jules. »Aber ich finde, wir sollten noch warten, bis ich Silas überredet habe, das Haus zu verlassen. Meinst du nicht?«
»Ja«, stimmte Abigail ihr zu. »Wenn du glaubst, du kannst das.«
»Ich werde es schon irgendwie schaffen.«
Sie gingen gemeinsam nach unten und fanden Silas im Wohnzimmer mit Olli in dem großen Laufstall, den Abigail vor ein paar Monaten bei Mothercare gekauft hatte.
»Wir sind beide der Meinung«, erklärte Jules rundheraus, »dass du ins Studio fahren solltest.«
»Wozu?«, fragte Silas.
»Du musst«, antwortete Jules. »Du weißt, dass du musst. Du musst die Post durchsehen und deine Mails abrufen.«
»Die Mails kann ich auch hier abrufen«, sagte Silas.
»Du musst doch Kunden haben, die dich dann undwann auch mal in deinem Studio sehen wollen«, bemerkte Jules.
»Und was ist mit den Rechnungen?«, fragte Abigail. »Die müssen doch bezahlt werden.«
Er zuckte mit den Schultern. »Das kümmert mich im Augenblick nicht.«
»Das ist wohl kaum eine gute Idee«, sagte Jules. »Sich die Kunden zu entfremden.«
»Gaga«, sagte Olli. »Baba.«
»Jules hat Recht«, erklärte Abigail. »Schließlich willst du doch sicherlich, dass dein Geschäft noch funktioniert, wenn es mir wieder besser geht, oder?«
»Du auch?«, fragte Silas.
»Natürlich«, antwortete Abigail ruhig.
»Gaga«, sagte Olli wieder und diesmal mit Nachdruck.
»Offensichtlich bin ich hier nicht länger erwünscht«, sagte Silas und stand auf.
»Jetzt sei nicht so empfindlich, Bruderherz«, sagte Jules.
»Ich bin überhaupt nicht empfindlich.« Silas klopfte sich die Jeans ab. »Dann überlasse ich euch mal euren Frauengesprächen.« Er blickte zu seiner Schwester. »Du solltest vorsichtig sein. Jetzt hast du zwei Hand voll, um die du dich kümmern musst.«
»Hand voll? Welch charmante Beschreibung«, bemerkte Abigail.
»Du weißt, was ich meine, Süße.« Silas hielt kurz inne. »Bist du sicher, dass du damit zurechtkommst, Schwesterlein?«
»Silas, um Himmels willen«, sagte Jules, »geh.«
Es dauerte noch weitere zehn Minuten, bis Silas seiner Schwester jeden möglichen Fallstrick erklärt hatte, überden Abigail möglicherweise stolpern könnte; erst dann verließ er das Haus.
»Gut«, sagte Jules, die am Wohnzimmerfenster stand. »Er ist weg.«
»Sicher?« Abigail saß auf der Couch, Olli auf den Knien.
»Vollkommen.« Jules kam zu ihr. »Lass mich den kleinen Kerl nehmen.« Sie hob ihn hoch. »Ist das Klo hier unten okay für dich?«
»Jaja.« Abigail stand auf, richtete sich aus und ging zur Tür. »Alles klar?«, fragte sie.
»Perfekt«, antwortete Jules.
An der
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