Teuflische List
sicher?«, fragte Abigail, obwohl die Ärztin ihr das tatsächlich schon von Anfang an gesagt hatte.
Sie sei absolut sicher, antwortete die Augenärztin und gab ihr neue Augentropfen sowie eine dicke Sonnenbrille. Sobald eine Besserung eintrat, warnte die Ärztin, sei mit einer starken Lichtempfindlichkeit zu rechnen.
»Die Brille verleiht dir Glamour und etwas Geheimnisvolles«, bemerkte Silas.
Und er brachte sie wieder nach Hause.
Er nervte sie fast unentwegt damit, sie solle wieder Cello spielen. Eines Tages führte er sie ins Musikzimmer.
»Ich wollte aber ins Schlafzimmer«, sagte Abigail.
Sie löste sich von ihm und drehte sich um.
Silas schloss die Tür.
Abigail presste die Lippen aufeinander, griff nach der Türklinke und drückte sie hinunter.
»Nein«, sagte er.
»Was soll das heißen, nein ?« Wieder griff Abigail nach der Klinke.
»Ich will, dass du ein wenig Zeit hier drin verbringst«, sagte Silas und ergriff ihre Hand.
»Ich werde mich gar nicht erst auf diese Diskussion einlassen«, sagte Abigail. »Lass mich los.«
»Nicht, bevor du es nicht wenigstens versucht hast.«
»Lass meine Hand los, Silas.«
»Du benimmst dich wie ein Kind.« Er hielt sie fest im Griff.
»Hör auf, mich wie eins zu behandeln.«
»Ich will doch nur dein Bestes.«
»Herrgott noch mal!« Abigail zitterte vor Zorn. »Jesus!«
»Das ist nicht meine Abteilung«, sagte Silas kalt und zog sie in die Mitte des Zimmers, wo ihr Cello auf sie wartete. Es lag auf dem Teppich neben dem Stuhl.
»Ich werde nicht spielen, Silas. Du verschwendest nur deine Zeit.«
»Himmel, Abigail!« Er zog sie noch einen Schritt weiter, drückte sie auf den Stuhl und hob dann rasch das Cello auf, um es ihr in die Arme zu drücken. »Ich will doch nur, dass du es einmal versuchst.«
Instinktiv schlang Abigail die Arme um das Instrument. »Warum ist es nicht im Kasten?«
»Weil ich vorhin hier raufgegangen bin und es herausgeholt habe.« Silas bückte sich, griff nach dem Bogen und drückte ihn seiner Frau in die rechte Hand.
»Raus!«, sagte sie.
»Ich will dich spielen hören«, erwiderte er.
»Raus!«
Silas schaute sie an und schüttelte den Kopf.
»Wie du willst«, sagte er.
Die ersten fünf Minuten, nachdem er den Raum verlassen hatte, weinte Abigail vor hilfloser Wut und klammerte sich an ihr Cello.
Das vertraute Gefühl und der Geruch trösteten sie.
»Verdammt sollst du sein, Silas«, sagte sie, denn sie wusste bereits, dass er Recht hatte.
Es fühlte sich wundervoll an. Seit Wochen hatte sich nichts mehr so gut angefühlt.
Abigail widerstand dem Verlangen, die Brille abzunehmen und sich über die Augen zu wischen; stattdessen strich sie sich nur mit dem Handballen über die Wange. Dann wischte sie sich beide Hände an der Jeans ab.
Sie ging in Position, spannte den Bogen, atmete tief durch …
… und begann zu spielen.
Draußen im Flur lehnte Silas an der Wand und lächelte.
Er hatte Tränen in den Augen.
Es funktionierte. Sie erkannte es, langsam und manchmal schmerzhaft, aber sie erkannte es.
Dass sie ihn brauchte.
Dass sie ohne ihn nicht leben konnte.
40.
Zwei Tage später kam Jules mit Olli frühmorgens und unangekündigt.
Silas öffnete die Tür.
»Was machst du denn hier?«
»Wir sind gekommen, um dich abzulösen«, sagte Jules. »Wenn du uns reinlässt, heißt das.«
Silas trat zurück, und Jules schob den Buggy über die Schwelle und in den Flur.
»Ich brauche keine Ablösung«, sagte Silas. »Abigail und ich kommen auch so gut zurecht.«
»Abigail hat mir gesagt, du könntest eine Pause vertragen«, erwiderte Jules, »und ich stimme ihr zu.«
Silas runzelte die Stirn. »Wann hat sie dir das gesagt?«
»Gestern Abend.« Jules sah seinen Gesichtsausdruck und lächelte. »Und sie hat mir auch gesagt, kein Nein als Antwort zu akzeptieren. Du würdest ohne Zweifel darüber diskutieren wollen.«
»Baba«, sagte Olli.
»Ja, mein Liebling«, sagte seine Mutter. »Dein Neffe ist wirklich schon weit entwickelt, Onkel Silas.«
»Ich brauche keine Pause, Jules«, erklärte Silas.
»Aber vielleicht Abigail«, entgegnete Jules in sanftem Tonfall.
»Hat sie das gesagt?«
Olli wand sich in seinem Buggy; er wollte Freiheit.
»Gleich, Olli«, sagte seine Mutter und blickte wieder zuihrem Bruder. »Abigail hat es nicht mit so vielen Worten gesagt, aber nur, weil sie deine Gefühle nicht verletzen wollte.«
Silas rührte sich nicht und schwieg.
Jules erkannte diese besondere Art von Schweigen; sie
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