Teuflische Lust
übel wurde.
»Ich habe jetzt Schluss«, sagte sie und deutete die Straße hinunter.
»Sehr schön. Was hast du denn vor?«
»Ehrlich gesagt nichts besonders Spannendes.«
»Vielleicht können wir ja gemeinsam etwas unternehmen?«
Sie schüttelte den Kopf. Die letzten Tage waren sehr heiß gewesen, und die Blumen auf dem Grab ihrer Großmutter mussten unbedingt gegossen werden. Sie konnte das nicht länger aufschieben.
»Ich muss zum Friedhof.«
Er sah sie fragend an.
»Das Grab meiner Oma pflegen. Wir können uns gern ein anderes Mal treffen. Das würde mich sehr freuen.«
Lucas fuhr sich nachdenklich mit Daumen und Zeigefinger über sein kantiges Kinn. »Weißt du was, ich komme mit. Vorausgesetzt, es stört dich nicht und du gestattest mir, dass ich dich danach auf einen Kaffee einlade.«
»Du willst ehrlich mitkommen?«, fragte sie verwundert.
»Ja, wieso nicht. Ich habe keine anderen Pläne und verbringe gern Zeit mit dir. So schlage ich zwei Fliegen mit einer Klappe.«
Alexia war von dem Angebot überrascht, aber ganz gewiss nicht abgeneigt. Sie fürchtete nur, er könne sich auf demFriedhof langweilen. Da er jedoch selbst diesen Vorschlag gemacht hatte, hatte sie nichts einzuwenden. »Einverstanden«, sagte sie und lächelte.
Der Friedhof lag am anderen Ende der Stadt und war schon sehr alt und dicht bewachsen. Riesige marmorne Engel säumten einen breiten Sandweg, der zu einem großen steinernen Springbrunnen führte. Es war sehr ruhig hier. Man hörte nur das sanfte Rascheln der Blätter im Wind und das entfernte Summen durch die Luft schwirrender Insekten.
Alexia holte eine alte Gießkanne hinter einem Gebüsch hervor, die sie dort versteckt hatte, und tauchte sie in das Wasser. Dann führte sie Lucas zum Grab. Ein kleiner Grabstein mit Gravur erinnerte daran, dass Adelia Kling vor fünf Jahren verstorben war. Wie sie es befürchtet hatte, waren die Blumen vertrocknet. Weder ihre Eltern noch ihre ältere Schwester Cornelia hatten offenbar die Zeit gefunden, sich um das Grab zu kümmern. Es tat ihr in der Seele weh, es in diesem Zustand zu sehen, und das schlechte Gewissen suchte sie heim, weil sie selbst es so lange vernachlässigt hatte.
Sie vergoss mehrere Kannen Wasser, in der Hoffnung, dass sich die Blümchen wieder erholten.
Kendrael beobachtete sie schweigend. Nachdem sie die Gießkanne neben das Grab gestellt und sich auf den Boden gehockt hatte, setzte er sich hinter sie und legte sanft beide Hände auf ihre Schultern, um vorzugeben, er würde sie massieren. Es war ein günstiger Moment, um in ihre Gedankenwelt einzudringen. Sie wirkte gelöst, unverkrampft und viel zu abgelenkt, um sich seiner Kraft zu erwehren.
Bilder aus ihrem Inneren strömten auf ihn ein. Aber es waren nicht ihre sexuellen Wünsche, sondern dieErinnerungen an vergangene Zeiten. Er sah die kleine Alexia mit ihren dunkelblonden Zöpfen, die ihr die Großmutter geflochten hatte. Sie war nicht älter als zehn Jahre und verbrachte ihre Nachmittage zusammen mit ihrer Schwester bei der Oma, weil beide Eltern berufstätig waren. Adelia Kling war eine sehr warmherzige Frau mit einem gutmütigen Lächeln gewesen, die sich rührend um ihre Enkel gekümmert hatte. Sie hatte für die Mädchen gekocht, ihnen Geschichten erzählt und nur selten mit ihnen geschimpft. Kendrael spürte, wie sehr Alexia an ihr gehangen hatte und immer noch hing.
Vor sieben Jahren hatte Adelia einen Schlaganfall erlitten und war ins Krankenhaus gekommen. Alexia hatte ihretwegen die Schule geschwänzt, war Tag und Nacht an ihrem Krankenhausbett gesessen, hatte ihre Hand gehalten und mit ihr geredet, voller Hoffnung, dass Adelia sie hören konnte, wenigstens aber ihre Nähe spürte. Alexia war so lange geblieben, bis sich Adelia erholt hatte und wieder zu Kräften gekommen war. Von dem Tag an hatte Alexia das Leben ganz anders wahrgenommen. Sie hatte gelernt, seine Kostbarkeit zu schätzen und die Zeit, die sie mit ihrer Großmutter verbringen durfte, noch mehr zu genießen.
Zwei Jahre später erlitt Adelia einen weiteren Schlaganfall, den sie nicht überlebte. Alexia hatte nicht die Möglichkeit gehabt, sich von ihr zu verabschieden, weil sie zu dieser Zeit im Urlaub in London gewesen war. Darunter litt sie noch heute.
Ein leises Schluchzen beförderte Kendrael in die Wirklichkeit zurück. »Tut mir leid«, sagte Alexia leise und zog ein Taschentuch aus ihrer Hosentasche.
»Nicht doch. Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Ich weiß, wie du
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