Teuflische Lust
Lippen zu spüren, da hörten sie nahende Schritte. Eine Trauergemeinde hatte den Friedhof betreten. Männer und Frauen in schwarzer Kleidung sammelten sich um ein offenes Grab. Neugierige Blicke flogen zu ihnen hinüber, und Alexia begriff, dass dies sicher nicht der rechte Ort war, um einander näherzukommen.
Sie lächelte ihn entschuldigend an. »Lass uns besser gehen.« Sie wollte die Leute in ihrer Trauer nicht stören.
»Ichwollte dich zu einem Kaffee einladen«, erinnerte er sie.
»Ehrlich gesagt, habe ich einer Kommilitonin versprochen, mich heute um unsere gemeinsame Hausarbeit zu kümmern. Der Abgabetermin rückt immer näher.«
»Das ist schade.« Er klang enttäuscht.
»Aber wir holen das nach, ja?«
»Und wann?«
»Was hältst du von morgen Nachmittag?«
»Oder heute Abend? Du wirst doch sicher nicht den ganzen Tag mit der Arbeit verbringen, oder?«
Eigentlich hatte sie genau das vorgehabt. Doch sie fühlte sich schlecht dabei, ihm noch einmal abzusagen. »Heute Abend? Na gut.«
»Hervorragend. Ich bringe Wein mit.«
»Ich dachte, wir trinken Kaffee«, scherzte sie.
»Das machen wir ein anderes Mal. Dieser Abend soll etwas Besonderes werden.«
Er erhob sich, und Alexia folgte ihm. Etwas Besonderes? Da war sie sehr gespannt.
Ihre Wege trennten sich, und Alexia ließ sich Zeit mit der Heimfahrt, stieg zweimal in der U-Bahn um und nahm schließlich den Bus bis zum Lazaruspark. So hatte sie genügend Zeit, über Lucas nachzudenken. Es war schon seltsam, wie nah sie sich in so kurzer Zeit gekommen waren. Sie konnte es nicht leugnen, sie fühlte sich zu ihm hingezogen. Er war so geduldig, einfühlsam und sanft. Und was noch viel wichtiger war, sie fühlte sich von ihm verstanden.
Als sie in den Sandweg einbog, bemerkte sie eine alte Dame, die auf einer Parkbank saß und die Tauben mit Brotkrumen fütterte. Im ersten Moment glaubte sie, es sei ihre Oma, denndie Ähnlichkeit war frappierend. Aber dann drehte die Dame leicht den Kopf, und Alexia erkannte ihre Nachbarin.
»Guten Tag, Frau Wagner«, grüßte sie freundlich.
Die ältere Dame hob den Blick, und als sie Alexia erkannte, erstrahlte ein Lächeln auf ihrem Gesicht, das voll Güte und Lebenserfahrung war.
»Alexia, Sie sehen heute aber sehr glücklich aus. Liegt das etwa an Ihrem Internetbekannten?« Sie schaute sie vielsagend über ihren Brillenrand hinweg an. Alexia war verblüfft. Das war heute schon die zweite Person, die sie auf ihr Aussehen ansprach. Verlegen fuhr sie sich über die Wangen.
»Woher wissen Sie das?«
»Sie strahlen über das ganze Gesicht und haben eine rosig frische Farbe. Wenn das keine Anzeichen sind.«
Frau Wagner klopfte mit der flachen Hand auf den Platz neben sich, und Alexia setzte sich zu ihr. Da fiel ihr ein, dass ihre Nachbarin sicherlich Sven mit dem »Internetbekannten« meinte. Daran wollte sie lieber gar nicht mehr denken.
»Ich war auch einmal in Ihrem Alter, Kind. Ich weiß, wie das ist, wenn man sich verliebt.«
Verliebt? Oh, so weit wollte sie sicher nicht gehen. Es bestand eine gegenseitige Anziehung zwischen Lucas und ihr, aber zum Verliebtsein gehörte mehr.
»Wir verstehen uns gut.«
»Das ist wichtig. Viel wichtiger als manch andere Dinge. Meine Eltern hielten nicht viel von dem Mann, den ich mir ausgesucht hatte. Sie glaubten, er wäre ein Tunichtgut, weil er keine Arbeit hatte. Er sah sich als Künstler, doch es gelang ihm nicht, Fuß in dieser Branche zu fassen. Ich konnte mich wunderbar mit ihm unterhalten. Er war sehr klug und kannte die verrücktesten Geschichten aus aller Welt. Wir waren wiezwei Seelenverwandte, und die Entscheidung, ihn zu heiraten, war die beste Entscheidung meines Lebens. Auch wenn dadurch das Verhältnis zu meiner Familie sehr getrübt wurde. Später hat er dann in einer Rüstungsfabrik gearbeitet. Das waren harte Zeiten, und er kam oft spät nach Hause. Aber die Zeit zum Reden haben wir uns immer genommen. Selbst wenn es spät in der Nacht war.«
Ein seliger Ausdruck trat auf Frau Wagners Gesicht, und ihre Augen blickten sehnsuchtsvoll in die Ferne.
Alexia war froh, dass ihre Eltern modern genug waren, jede ihrer Entscheidungen zu akzeptieren. Für sie war der Gedanke, ihre Familie könnte sich von ihr abwenden, unerträglich.
»Wie sind Sie damit umgegangen? Sie konnten doch nicht wissen, ob Sie beide für die Ewigkeit bestimmt sind.«
»Es gibt keine Garantie. Doch ich habe es hier drinnen gespürt«, sagte sie und legte die Hand auf ihre Brust. »Man
Weitere Kostenlose Bücher