Teuflische Lust
einen Mann wie ihn getroffen. Er wirkte düster, aber gleichzeitig zärtlich und sogar ein wenig romantisch.
Seine Augen waren außergewöhnlich. Sie waren sehr ausdrucksstark und doch sehr ernst. Es schien fast, als konnte er mit ihnen direkt in ihr Herz blicken. Sie fragte sich, ob er wohl tatsächlich ihre Gedanken lesen konnte. Ein wohliger Schauer kroch über ihren Rücken, als sie sich an den Moment erinnerte, in dem er sacht ihre Hand mit seiner umschlossen hatte. Und sein Kuss war überirdisch gewesen. Etwas flatterte in ihrer Brust, wenn sie an den köstlich herben Geschmack seiner Lippen dachte. Er hatte nach Moschus gerochen, männlich, herb, markant. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, ihn nicht mit hinauf zu bitten. Aber immerhin kannte sie ihn tatsächlich kaum – auch wenn es sich anders anfühlte. Sie wusste nicht mehr über ihn als das, was in seinem Internetprofil stand. Und das war nicht sonderlich viel. Was er beruflich machte? Sie hatte keine Ahnung. Ob er überhaupt an einer festen Beziehung interessiert war? Das wusste sie auch nicht. Sie hatten darüber nicht gesprochen. Aber etwas anderes als eine feste Partnerschaft kam für sie nicht in Frage.
DerKurs war nach einer Stunde zu Ende, und Alexia hatte nichts aus dem Seminar mitbekommen. Sie würde den Inhalt nacharbeiten müssen. Als sie über den Flur ging, folgte ihr eine Kommilitonin. »He, Alexia. Du siehst heute so frisch aus«, sagte sie freundlich.
Alexia fuhr sich über die Wange. Frisch? Sie hatte doch gar keine Zeit gehabt, sich großartig herzurichten, weil sie verschlafen hatte. Der Bus kam nur alle zwanzig Minuten, und sie hatte lossprinten müssen, um ihn noch zu bekommen. Der frische Morgenwind hatte ihre Haare völlig durcheinandergebracht. Ein solches Kompliment war das Letzte, was sie erwartet hatte.
»Danke«, sagte sie verwirrt.
»Was hast du denn jetzt?«, wollte die Studentin wissen.
»Nichts. Das Tutorium von Matt fällt heute aus.« Sie wollte die Zeit nutzen, um auf den Friedhof zu fahren und sich um das Grab ihrer Großmutter zu kümmern, um anschließend an ihrer Hausarbeit zu arbeiten. Der Abgabetermin rückte immer näher, und sie hatte noch keine einzige Zeile geschrieben.
»Hast du es gut. Ich habe jetzt noch einen Statistikblock. Ich wünsch dir viel Spaß.«
»Danke, dir auch.«
Schon war ihre Kommilitonin in einem Seitengang verschwunden. Alexia mochte die Anonymität der Universität nicht sonderlich. Man traf zwar auf viele Leute, doch nur mit viel Glück begegnete man ihnen auch ein zweites Mal, es sei denn, sie hatten zufällig die gleichen Kurse wie man selbst belegt.
Im Vorhof des Gebäudes war ein kleiner Büchermarkt aufgebaut worden. Alexia hatte hier schon öfter zu günstigenPreisen etwas Brauchbares gefunden und durchstöberte interessiert die einzelnen Stände. Ein Lexikon der Psychologie wurde für 3,50 Euro angeboten. Der Ladenpreis lag deutlich darüber. Alexia öffnete ihren Rucksack und zog ihre Geldbörse heraus. Nach einem ausführlichen Nachschlagewerk hatte sie schon lange gesucht und zu einem so günstigen Preis würde sie sicherlich kein anderes finden. Da fiel ihr ein 50-Cent-Stück aus der Börse und kullerte über den Pflastersteinweg. Wenige Schritte von ihr entfernt blieb es am Boden liegen. Alexia beeilte sich, es aufzuheben. Doch da war ihr auch schon jemand zuvorgekommen. Eine gepflegte Hand griff nach der glänzenden Münze. Alexia blickte zu dem Finder hoch und traute ihren Augen nicht. Lucas Arnold! Was machte er denn hier?
»Das nenn ich einen glücklichen Zufall«, sagte er und gab ihr die Münze.
»Ich wusste nicht, dass du auch hier studierst.«
Er zuckte die Schultern. »Schon eine ganze Weile.«
Ja, richtig. Er war ja bereits 31.
Alexia schlenderte zu dem Stand zurück und kaufte das Psychologielexikon. Sorgsam verstaute sie es in ihrem Rucksack.
»Also bist du doch kein hauptberuflicher Wunscherfüller.«
»Ich gestehe, da habe ich ein wenig übertrieben.«
»Verstehe. Typisch männliches Verhalten.«
»Ach ja?«
Sie gingen zum Ausgang und blieben vor dem eindrucksvollen Tor stehen.
»Ja, sicher. Imponiergehabe eben«, scherzte sie. »Und was hast du hier studiert?«
»Medizin.«
»Tatsächlich?«
Er nickte. »Tatsächlich.«
Nicht schlecht, dachte Alexia. Der Mann musste einiges im Kopf und obendrein einen unempfindlichen Magen haben. Sie hatte sich damals für Psychologie und gegen Medizin entschieden, weil ihr beim Anblick von Blut
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