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Teuflische Schwester

Teuflische Schwester

Titel: Teuflische Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Saul
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Zunächst flimmerte alles
vor ihren Augen, dann wußte sie wieder, wo sie war. Sie
hatte im Wohnzimmer auf Todd gewartet, mußte aber über
ihrem Buch eingenickt sein. Das Buch lag aufgeklappt auf
ihrem Schoß. Hinter ihr brannte noch die kleine
Leselampe.
    Vom stundenlangen Sitzen schmerzten alle ihre Gelenke.
Vorsichtig streckte sie die steifen Glieder. Langsam wich
die Schlaftrunkenheit. Sie sah auf die Uhr. Fast ein Uhr.
Sie hatte fast vier Stunden geschlafen. Sie zog sich hoch
und schlurfte zur Treppe. Auf halbem Weg blieb sie
stehen.
    Das Haus kam ihr leer vor. Sie war sich fast sicher, daß
Todd nicht heimgekommen war.
Wegen Todd hatte sie schon den ganzen Abend ein
flaues Gefühl im Magen. Jetzt schnürte die Angst ihr die
Kehle zu. Noch nie war Todd so lange fortgeblieben. Und
wenn er ausging, sagte er ihr immer, wohin. Bestimmt
hätte er sie geweckt, wenn er sie auf ihrem Stuhl gesehen
hätte.
Vielleicht aber auch nicht … Sie weigerte sich, in Panik
auszubrechen, auch wenn sie nahe daran war. Vielleicht
hatte er sie gesehen und lieber nicht wecken wollen.
Sie erklomm die Treppe. Bei jedem Schritt jagte ein
stechender Schmerz von der linken Hüfte bis hinunter zu
den Zehen. Vielleicht sollte sie allmählich an einen
Umzug ins Erdgeschoß denken. Das Wohnzimmer ließe
sich in ein Schlafzimmer umwandeln, und dann gäbe es
das leidige Treppensteigen nicht mehr. Im großen Haus
drüben müßte sie sich allerdings weiter plagen …
Am Treppenabsatz angelangt, tastete sie zum
Lichtschalter. Aber schon bevor die grelle Birne sie für
einen Augenblick blendete, wußte sie, daß Todd nicht da
war. Seine Tür stand immer noch genauso offen wie vor
vier Stunden. Dennoch sah sie in seinem Zimmer und im
Bad nach.
Sie ging wieder nach unten. Ihre Schritte lenkten sie
automatisch in die Küche. Dort setzte sie Wasser für eine
Tasse Kaffee auf. Bis das Wasser zu sieden anfing,
versuchte sie sich den nächsten Schritt zu überlegen.
Ihr erster Impuls war, ins Herrenhaus zu gehen und
Mr. Charles zu wecken. Aber dann würde auch Phyllis
aufwachen. Sie sah schon ihren Gesichtsausdruck und
konnte sich nur zu lebhaft die Reaktion vorstellen:
»Also wirklich, Cora! Wie kannst du so rücksichtslos
sein? Ich habe einen schweren Tag hinter mir …«
Und dann würde eine endlose Litanei losgehen, bis
Mr. Charles sich einen Morgenrock überwarf und mit ihr
zusammen nach unten ging. Aber am nächsten Tag würde
Phyllis ihr noch nicht verziehen haben. Und die Wut über
die Störung würde sie nicht nur an ihr auslassen.
Melissa würde einen gehörigen Teil davon
abbekommen.
Nein, zu Mr. Charles konnte sie morgen auch noch
gehen.
Sollte sie es vielleicht der Polizei melden?
Sie mußte fast über sich lächeln. Dort würde man sie nur
für eine verschrobene Alte halten, wenn sie einen
Halbwüchsigen als vermißt meldete, nur weil sie ihn vier
Stunden nicht gesehen hatte.
Und vielleicht gab es auch keinerlei Grund zur Sorge.
Wie oft war Todds Vater in diesem Alter nächtelang
weggeblieben? Irgendwann hatte sie das Zählen
aufgegeben. Wenn er überhaupt gekommen war, dann früh
am Morgen und sturzbetrunken.
Der Wasserkessel pfiff. Sie gab einen Löffel
Instantkaffee in ihre Tasse und brühte den Kaffee auf.
Vielleicht, sagte sie sich, hatte Todds Ausbleiben auch
nur mit dem Erwachsenwerden zu tun. Vielleicht hatte er
beschlossen, endlich auszugehen und das Leben zu
genießen.
Aber daran konnte sie eigentlich nicht glauben. Todd
hatte überhaupt nichts mit seinem Vater gemeinsam.
Sie rührte den Kaffee um und trank einen Schluck. Sie
zuckte zusammen. Die kochend heiße Brühe verbrannte
ihr den Mund.
Mit der Tasse in der Hand ging sie ins Wohnzimmer
zurück. Zum erstenmal seit fast fünfzehn Jahren war sie
vollkommen allein. Ein sonderbares Gefühl bemächtigte
sich ihrer.
Sie kam sich einsam vor. Einsam und schutzlos.
Sie sah sich nervös um. Die schwarzen rechteckigen
Fenster schienen sie anzustarren. Plötzlich beschlich sie
das unheimliche Gefühl, daß Augen dahinter waren,
Augen, die sie beobachteten. Sie schlurfte von Fenster zu
Fenster und zog die Vorhänge zu.
Ihr Blick fiel auf den Kamin. Schürholz lag darin. Sie
brauchte es nur anzuzünden. Aber es war mitten im
Sommer, und die Nacht war recht warm. Die Flammen
mochten sie vielleicht in den ersten Minuten trösten, aber
bald würde es unerträglich heiß.
Sie setzte sich wieder auf ihren Stuhl und nahm das
Buch in die

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