Teuflische Schwester
sehe«, fuhr sie fort, »war es ganz gut so, daß
die Party so früh zu Ende war. Keinem Kind schmeckt der
Kuchen auch nur halb so gut wie dir. Und so ist das meiste
für dich und Todd übriggeblieben. Morgen könnt ihr euch
nach Herzenslust damit vollstopfen.«
Das Steak war vergessen. Melissa schnitt sich einen
Bissen von dem herrlich duftenden Kuchen ab, doch
gerade als sie die Gabel zum Mund führte, trat ihre Mutter
ins Zimmer.
»Aber Melissa!« rief Phyllis. »Du weißt doch genau, daß
es keine Nachspeise gibt, solange du nicht aufgegessen
hast.«
Das freudige Aufleuchten in Melissas Augen war schon
wieder erloschen. Gehorsam legte sie die Gabel auf den
Teller. »Ich … ich bin wohl schon satt, Cora.« Mit den
Augen flehte sie die Haushälterin an, es nicht auf einen
Streit mit ihrer Mutter ankommen zu lassen. »Vielleicht
esse ich morgen ein bißchen.«
Cora vermied es, Phyllis in die Augen zu sehen. Sie
räumte den Tisch ab und drückte sich an Phyllis vorbei aus
dem Zimmer.
Ohne ihre Tochter eines weiteren Wortes zu würdigen,
folgte Phyllis der Haushälterin. Hinter ihr fiel die Tür laut
ins Schloß.
Wieder einmal war Melissa allein. Sie schlich zum Bett,
legte sich bedrückt nieder und wartete auf das
Unvermeidliche.
Sie nahm ein Buch in die Hand und versuchte zu lesen,
blieb aber immer an derselben Stelle stecken. Der
Verstand registrierte einfach nicht, was die Augen wieder
und wieder lasen. Langsam verstrichen die Minuten.
Schließlich hörte sie Cora Blackie rufen. Das hieß, die alte
Frau ging jetzt für die Nacht in ihr Häuschen. Melissa
legte das Buch beiseite. Fünf Minuten später ging die Tür
auf und ihre Mutter kam noch einmal herein. Wortlos
machte Phyllis die Fenster zu. Dann wandte sie sich zu
ihrer Tochter. Ihr Gesicht verriet, wieviel Zorn sich in ihr
aufgestaut hatte.
»Du unverschämter Fratz!« schrie sie mit bebender
Stimme. »Kennst du denn kein bißchen Dankbarkeit? Was
habe ich nicht alles für dich getan? Und du trittst mich mit
Füßen!«
Melissa wich ans äußerste Ende ihres Betts zurück. Die
Knie zog sie abwehrend bis unters Kinn. Ihr Blick war
starr auf die Mutter geheftet, doch in Gedanken flüsterte
sie mit D’Arcy. Was habe ich denn getan, D’Arcy? Ich
hab’ doch keinem was Böses getan! Warum versteht
Mama einfach nicht, daß die mich nicht mögen?
»Dein Kleid, Melissa!« herrschte Phyllis sie plötzlich an.
»Wo hast du es hingetan?«
Melissa schwieg zunächst, doch als ihre Mutter
bedrohlich auf sie zutrat, schluckte sie den Kloß in ihrem
Hals hinunter. »In die Kammer«, flüsterte sie.
Phyllis’ Augen verengten sich zu Schlitzen. Sie riß die
Tür mit solcher Wucht auf, daß sie laut gegen die Wand
knallte. Das rosa Kleidchen lag zerknittert auf dem Boden.
In ihrer Hast hatte Melissa es am Nachmittag nicht richtig
auf den Bügel gehängt, so daß es heruntergefallen war.
Phyllis ergriff es wütend und wirbelte damit herum. »Geht
man so mit seinen Kleidern um?« schrie sie. Dann nahm
sie es zwischen beide Hände und riß es mit einem
kräftigen Ruck auseinander. Melissa schluchzte bei dem
Geräusch laut auf.
Als hätte sie Phyllis’ Gemeinheit zu neuem Leben
erweckt, sprang sie auf und stürzte zu ihrer Mutter.
»Bitte!« heulte sie. »Bitte zerreiß mein Kleid nicht!« Sie
griff nach dem Kleidchen, wich aber sofort zurück, als
ihre Mutter ausholte und sie mit voller Wucht am Hals
traf.
Nach Luft japsend, taumelte Melissa zum Bett zurück.
Phyllis folgte ihr. Eine Hand umklammerte noch das
Kleidchen, die andere war zur Faust geballt. Melissa
duckte sich gegen die Bettkante.
Hilf mir! schrie sie lautlos in das leere Zimmer. Bitte,
D’Arcy, hilf mir! Sonst schlägt sie mich wieder! Während
ihre Mutter immer näher kam, schossen Melissas Blicke
verzweifelt durch das Zimmer, als suche sie ein Versteck
oder einen Beschützer.
Und dann erblickte sie in der anderen Ecke einen
vertrauten Schatten. Er war zuerst kaum sichtbar, doch
schnell nahm die unscheinbare Form die Gestalt eines
Mädchens an und trat geräuschlos ans Bett.
Halt sie auf, flüsterte Melissa der seltsamen, nur für sie
sichtbaren Gestalt zu. Bitte, bitte sag ihr, daß ich nichts
getan habe. Mach, daß sie mich nicht bestraft. Und dann
hörte sie D’Arcys leise Stimme.
Schlaf, Melissa. Ich bin jetzt bei dir. Schlaf ruhig ein. Als ihre Mutter sich über sie beugte, spürte Melissa einen
sanften Druck. D’Arcy wiegte sie in ihren
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