Teuflische Schwester
dir aufträgt, etwas Anständiges anzuziehen.«
Todd grinste sie frech an. »Ach was, Oma. Glaubst du
wirklich, die Holloway würde sich im Garten blicken
lassen? Wetten, daß sie nicht mal weiß, wo er ist.«
Cora zog die Augenbrauen leicht hoch. Eigentlich wollte
sie ihn zurechtweisen, er solle für seine Arbeitgeberin
mehr Respekt bezeugen, ließ es aber bleiben. Todd hatte ja
recht. Seit der Hochzeit mit Charles Holloway hatte
Phyllis jede Erinnerung an ihre Vergangenheit zu tilgen
versucht. Soweit Cora wußte, stammte sie von einem
Bauernhof irgendwo in Pennsylvania. Ein Bauernhof war
für Cora nichts anderes als ein größerer Garten. Und in der
Nähe des Gartens hier ließ sich die große, stolze
Mrs. Holloway tatsächlich nie blicken. »Na schön, von
mir aus. Aber wenn sie dich trotzdem erwischt, hast du es
dir selbst zuzuschreiben.«
»Geht in Ordnung«, versprach Todd. Er aß auf und ging
mit dem Teller zur Spüle, um das ganze Geschirr zu
spülen. Cora gab ihm auch ihren Teller, küßte ihn flüchtig
und ging zum Herrenhaus, wo ein langer Arbeitstag auf sie
wartete. Auf dem Weg über den Rasen fielen ihr erneut
Melissas geschlossene Fenster auf. Bevor sie ihre Arbeit
in der Küche aufnahm, lief sie unverzüglich in den ersten
Stock. Ohne anzuklopfen, trat sie in Melissas Zimmer.
Wie sie befürchtet hatte, lag Melissa nicht im Bett.
Mühsam kletterte Cora mit schmerzenden Gliedern die
Treppe zum Speicher hinauf. Sie blieb wiederholt
keuchend stehen, bevor sie sich weiter am Geländer
hochzog. Das Sonnenlicht konnte den düsteren Speicher
nur spärlich erleuchten. Cora tastete sich langsam durch
den vollgestellten Dachboden. Vor der Tür zu dem
winzigen Abstellraum verharrte sie eine Weile.
Schließlich gab sie sich einen Ruck.
Melissa lag in tiefem Schlaf zusammengerollt auf dem
verstaubten Sofa. »Ach, mein liebes Kind«, flüsterte Cora
fast unhörbar. »Nicht schon wieder.«
Sie trat ans Sofa und beugte sich über das Mädchen.
Vorsichtig, damit sie sie nicht erschreckte, weckte sie
Melissa auf. Es dauerte einige Zeit, bis ihre Augenlider
zuckten und sie sie endlich aufschlug. Erst lächelte sie
Cora an, doch sobald sie gewahr wurde, wo sie war,
erstarb das Lächeln.
Nach Luft schnappend setzte sie sich abrupt auf. Ihre
Blicke schossen gehetzt durch den winzigen Raum.
Schließlich sah sie Cora an. Ihr Gesicht war leichenblaß.
»Bitte sag Mama nichts«, flehte sie. »Bitte.«
Cora ergriff zärtlich ihre Hand. »Aber Missy, du weißt
doch, daß ich es deiner Mutter sagen muß. Wenn du
wieder mit dem Schlafwandeln anfängst, muß sie es doch
wissen. Dir könnte dabei ja was zustoßen.«
»Aber es ist doch das erstemal diesen Sommer«,
wimmerte Melissa. »Ich mache es auch bestimmt nie
wieder! Bitte sag es Mama nicht. Bitte?«
Cora erhob sich und zog Melissa mit hoch. »Jetzt
bringen wir dich erst mal in dein Bett und dann überlegen
wir es uns noch einmal in aller Ruhe, ja?«
Melissa biß sich auf die Lippe, nickte aber und ließ sich
folgsam durch den Haufen Unrat führen. Eine Minute
später lag sie wieder in ihrem Bett. Behutsam deckte Cora
sie zu. »Jetzt schläfst du noch ein, zwei Stunden«, befahl
ihr die Haushälterin. »Du brauchst deinen Schlaf
unbedingt. Und mach dir um nichts Gedanken. Du bist an
nichts schuld, und deine Mutter wird dich nicht schimpfen.
Sie will dir doch auch helfen.«
Cora küßte Melissa zärtlich auf die Stirn. Ehe sie das
Zimmer verließ, machte sie beide Fenster auf, um die
Morgenluft hereinzulassen.
Als sie allein war, versuchte Melissa sich an die
vergangene Nacht zu erinnern. Langsam kam ihr alles
wieder ins Gedächtnis.
Ihre Mutter war hereingekommen und war furchtbar
böse gewesen. Aus Wut hatte sie sogar das rosa Kleid
zerrissen. Und dann hatte sie sie geschlagen. Danach
konnte Melissa sich an nichts mehr erinnern.
Denn danach war ihr D’Arcy zur Hilfe geeilt. D’Arcy
kam immer und half ihr, wenn ihre Mutter böse war.
Sie blieb noch eine Weile im Bett liegen und überlegte.
Was war nur mit dem Kleid geschehen? Dann stand sie
auf und ging zur Kammer. Zögernd machte sie die Tür
auf.
Das Kleid hing ordentlich auf einem Bügel.
Melissa starrte es ungläubig an. Hatte sie sich getäuscht?
War ihre Mutter am Ende gar nicht hereingekommen?
Hatte sie sich das alles nur eingebildet?
Schließlich nahm sie das Kleid mit zitternden Händen
vom Bügel. Sie stülpte das Futter nach außen und unterzog
es einer
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