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Teuflische Schwester

Teuflische Schwester

Titel: Teuflische Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Saul
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immer Schilder gemalt, während die anderen
alle als Kellnerinnen gearbeitet haben. Es war mir
zuwider, aber ich konnte es.«
    Die anderen Frauen hatten überraschte Blicke
gewechselt. Nach fast fünfzehn Jahren hatten sie zum
erstenmal erfahren, womit Phyllis’ Vater seinen
Lebensunterhalt bestritten hatte. »Er ist in der
Werbebranche«, hatte sie sonst immer gesagt und hastig
das Thema gewechselt.
    Aber in den letzten Wochen hatte sich auch sonst sehr
viel an Phyllis geändert. Nachdem die Ärzte Melissa
mitgenommen hatten, hatte sie sich in den ersten Tagen
kaum blicken lassen. Das Haus hatte sie nur verlassen, um
zum Krankenhaus zu fahren, in dem Melissa lag. Nach
einer Woche allerdings, in der sie – wie Teri Brett erzählt
hatte – dumpf in der Bibliothek bei zugezogenen
Vorhängen vor sich hingebrütet hatte, war Lenore
schließlich aus Mitleid zu ihr gefahren.
    »Ich weiß nicht, was ich tun soll«, hatte Phyllis
widerstrebend zugegeben. »Alle halten mich für die
Schuldige, weil ich angeblich zu hart zu Melissa war,
aber…« Sie hatte gestockt. Tränen waren ihr in die Augen
getreten. Angesichts dieser Selbstvorwürfe war Lenores
jahrelang gehegte Abneigung von einem Augenblick zum
anderen dahingeschmolzen.
    »Unsinn«, hatte sie erwidert, wenngleich sie insgeheim
die Wahrheit von Phyllis’ Worten keineswegs bestritt.
»Du hast bestimmt dein Bestmögliches getan. Keiner kann
dir daraus einen Strick drehen. Wenn du den Rest deines
Lebens hier im Dunkeln bleibst, tust du dir selbst auch
keinen Gefallen, und es wird weder Melissa noch sonst
jemandem helfen. So, und jetzt ziehst du dich an, und
dann gehen wir essen.«
    »Aber das ist doch unmöglich«, hatte Phyllis gejammert.
»Ich könnte niemandem in die Augen sehen. Was soll ich
dann sagen? Die Leute starren mich ja alle an!«
»Die Leute starren dich garantiert an, wenn aus dir eine
Eremitin wird. Jetzt komm schon.«
    Sie war mit Phyllis nach oben gegangen und hatte für sie
einen dunkelbraunen Rock und eine schlichte Bluse aus
dem Schrank gezogen. »Zieh das an. Es ist recht schlicht.
Aber wenn du etwas Marineblaues oder Schwarzes trägst,
meint jeder, du würdest trauern.«
    Phyllis war zusammengezuckt. »A-aber so komme ich
mir vor«, hatte sie gestammelt.
»Tust du aber nicht«, hatte Lenore mit einem
Stoßseufzer gemeint. »Die ganze Stadt weiß, was los war
– und daß Melissa nicht tot ist. Du kannst nicht so tun, als
wäre sie es. Damit machst du alles nur schlimmer, als es
ohnehin schon ist.«
Phyllis hatte ebenfalls aufgeseufzt. »Wahrscheinlich hast
du recht. Teri predigt mir ja auch immer dasselbe. Aber
ich weiß einfach nicht, wie ich mich geben soll.«
Zum erstenmal in ihrem Erwachsenenleben hatte Lenore
darauf eine unbedachte Antwort gegeben. »Sei doch mal
ehrlich, Phyllis. Du hast wirklich nie gewußt, wie du dich
geben sollst. Ein ganzes Jahrzehnt lang hast du jemanden
gespielt, der du gar nicht bist. Es hat nicht funktionieren
können. Gib’s doch einfach auf und versuch mal, du selbst
zu sein.«
In den letzten Wochen war anscheinend genau das
passiert. Phyllis hatte sich wieder im Club gezeigt, aber
nicht allein, sondern meistens mit Teri. Anstatt sich in die
jeweils anwesende Gruppe zu drängen, hatten sie und Teri
sich still an einen freien Platz gesetzt.
So hatten die Leute sich allmählich zu ihnen gesellt – am
Anfang aus Pflichtgefühl, das man den anderen
Clubmitgliedern gegenüber nun einmal hatte, aber in
zunehmendem Maße, weil ihnen die Veränderung an
Phyllis nicht verborgen geblieben war.
Sie war ruhiger geworden und schien auch mal zuhören
zu können. Insgesamt wirkte sie lockerer und paßte so viel
besser zu ihnen.
Vielleicht, so überlegten die Mitglieder des Secret Cove
Club, hatte Melissas Tragödie auch ihr Gutes bewirkt.
Lachend gingen Phyllis und Lenore jetzt zum Ausgang
und erteilten den Arbeitern die letzten Anweisungen, als
Teri vor der Tür auftauchte. »Hab’ ich dich erwischt!« rief
Phyllis. »Du wolltest wohl einen Blick riskieren, was?«
»Na ja«, meinte Teri grinsend. »Den Versuch kannst du
mir ja nicht verübeln.«
»Kann ich schon, aber ich will nicht. Komm mit, sonst
kommen wir zu spät zum Friseur.« Sie wandte sich zu
Lenore um. »Wollen wir uns dort treffen? Charles fährt
Melissa besuchen. Ich muß ihm noch etwas für sie
mitgeben.«
Lenore war mit einem Schlag das Mitleid in Person.
»Wie geht es ihr? Hat ihr Zustand sich

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