Teuflische Schwester
gebessert?«
Phyllis kniff die Lippen zu einem resignierten Lächeln
zusammen. »Ich wünschte, es wäre so. Aber Doktor
Andrews scheint zu glauben, daß es noch sehr lange
dauern kann.«
Lenore schüttelte traurig den Kopf. »Wenn ich etwas tun
kann …«
»Du weißt nicht, wie sehr ich mich freuen würde. Aber
im Augenblick können wir nur abwarten. Wer weiß –
vielleicht ist es auch besser so. Ich weiß, es klingt
grausam, aber was wäre, wenn es ihr besser ginge? Was
sie dann alles durchstehen müßte …« Sie geriet ins
Stocken, gab sich dann aber einen Ruck. »Na ja, ich darf
mich nicht ewig gehenlassen. Schließlich muß ich mich
auch noch um Teri kümmern, nicht wahr?« Sie drehte sich
zu ihrer Stieftochter um. »Und du mußt heute noch eine
Menge erledigen. Oder willst du, daß Brett ohne dich zum
Ball geht?«
»Das glaube ich nicht«, versicherte Teri. »Wenn ich
sonst schon nichts bin, pünktlich bin ich.«
Die zwei verabschiedeten sich und gingen davon. Lenore
sah ihnen nachdenklich nach. Es war schon
bemerkenswert, überlegte sie, wie gut Phyllis und ihre
Stieftochter miteinander auskamen. Jede ersetzte für die
andere eine Person, die sie diesen Sommer verloren hatte,
und doch schien es beiden gutgetan zu haben.
Vielleicht war Melissa von Anfang an verrückt gewesen,
und Phyllis hatte ihre ganze Kraft darauf konzentriert, sie
unter Kontrolle zu halten. Es mußte schrecklich für sie
gewesen sein, all die Jahre mit einem Kind fertig werden
zu müssen, das mit der Realität nicht mehr zurechtkam.
Ja, schloß Lenore beim Einsteigen in ihren Rolls-Royce,
es hatte wohl so kommen müssen. Höchstwahrscheinlich
hatte Phyllis recht.
Vielleicht war es gut so, daß Melissa sich an nichts mehr
erinnerte. Vielleicht war es das Beste für sie, wenn sie aus
ihrer Fantasiewelt nicht mehr aufwachte. Dann würden
alte Wunden wenigstens nicht mehr aufgerissen.
Teri und ihre Stiefmutter liefen über den Strand auf
Maplecrest zu. »Na, wie läuft’s?« wollte Teri wissen und
hakte sich bei Phyllis ein. »Wie fühlst du dich jetzt?«
Phyllis schenkte ihrer Stieftochter ein entzücktes
Lächeln. »Bestens. Und du hattest recht. Sie tun alles für
einen, solange sie glauben, daß man Hilfe braucht. Die
ganzen Jahre habe ich immer versucht, eine von ihnen zu
sein, und sie haben mich wie ein Stück Dreck behandelt.
Aber jetzt mache ich und sage ich, was ich will – und sie
verzeihen mir alles. Es ist, als wäre ich plötzlich eine
Heilige in ihren Augen.«
»Bist du’s denn nicht?« fragte Teri in einem Ton
vollkommener Unschuld. »Ich meine, es ist ja
unvorstellbar, was du in den letzten Jahren ausgehalten
hast. Melissa ist nur immer verrückter geworden, und du
hast alles Erdenkliche getan, um ihr zu helfen. Für dich
muß es ja viel schlimmer gewesen sein als für sie. Ich
meine, sie merkte ja nichts von ihrem Wahnsinn.«
»Ehrlich gesagt, lange Zeit habe ich auch nichts davon
gemerkt«, gestand Phyllis. Sie fing an, aufs Geratewohl
draufloszuplappern. Mit Teri war das so leicht. Teri schien
sie immer zu verstehen.
Insbesondere, was die Sache mit Melissa betraf.
In den ersten Tagen nach Melissas Abtransport hatte sie
weder ein noch aus gewußt. Sie war davon überzeugt
gewesen, daß die ganze Stadt sich den Mund über sie
zerriß, und hätte sich am liebsten vergraben. Aber dann
hatte Teri ihr gut zugeredet und ihr erklärt, daß sie
überhaupt nichts dafür konnte. »Du wußtest ja nicht, was
mit ihr los war«, hatte sie betont. »Keiner konnte das
vorhersehen. Drum kann dir auch keiner den Schwarzen
Peter zuschieben.«
»Das tun sie aber alle«, hatte Phyllis geanwortet. »Sie
glauben alle, ich wäre zu streng zu ihr gewesen.«
»Dann sag ihnen doch genau das«, hatte Teri mit einem
Achselzucken gemeint. »Sag allen, daß dir deine Schuld
jetzt klar ist. Und wart ab, was passiert.«
Und zu Phyllis’ Überraschung hatte es geklappt. Vor
Lenore Van Arsdale hatte sie lediglich auf die
Tränendrüse zu drücken brauchen, und schon war die
Frau, die sie fast eineinhalb Jahrzehnte lang brüskiert und
gedemütigt hatte, ihre beste Freundin geworden.
Und die anderen – all die Frauen, denen sie sich nie
gewachsen gefühlt hatte – taten es ihr gleich.
Sie lächelte selig vor sich hin. So viele Jahre hatte
Melissa sie vor allen anderen immer nur bloßgestellt; jetzt,
da Melissa endlich aus dem Weg geräumt war, erhielt sie
die längst verdiente Anerkennung.
Und
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