Teuflische Schwester
ich wohl kein Auge zutun«, hatte sie
gesagt. »Aber wenigstens bin ich dann in meinem eigenen
Haus und spüre Todds Gegenwart.« Ihre Augen wurden
wieder feucht. »Ich weiß noch gar nicht, was ich ohne ihn
tun soll. Ich kann mich nicht erinnern, jemals in einem
leeren Haus gelebt zu haben. Aber daran werde ich mich
schon noch gewöhnen. Man kann sich an alles gewöhnen,
wenn man nur muß.« Sie ergriff Charles’ Hand. »Und
machen Sie sich keine Sorgen um Melissa. Tief im Herzen
weiß ich, daß sie Todd nichts getan hat. Sie hat ihn
genausosehr geliebt wie ich.«
Charles wollte Cora nicht davon abbringen. Er war sich
noch nicht im klaren, wie er ihr das alles erklären sollte.
Eigentlich hatte er es selbst noch nicht in seiner vollen
Bedeutung verstanden. Daß ein anderes Wesen – eine
eigene, selbständige Persönlichkeit – in Melissa leben
könnte, überstieg beinahe sein Fassungsvermögen.
»Ich weiß noch nicht, ob wir je herausfinden werden,
was sich abgespielt hat«, sagte ihm Andrews nach
Melissas Abtransport. »Im Augenblick scheint diese
D’Arcy die Kontrolle über sie übernommen zu haben.
Solange ich nicht an Melissa herankomme, kann ich nichts
tun, um die beiden Persönlichkeiten miteinander in
Einklang zu bringen. Aber vielleicht finde ich mehr
darüber heraus, was sich in den letzten Jahren in Melissa
abgespielt hat. D’Arcy dürfte einiges wissen, von dem
Melissa nicht das geringste ahnt. Und wenn ich D’Arcys
Vertrauen gewinne … Na ja, noch ist der Zeitpunkt nicht
gekommen, daß wir darüber reden.«
Schließlich hatte das Haus sich geleert. Die Nachbarn
waren heimgegangen, und die Ermittlungsbeamten hatten
ihre Arbeit abgeschlossen. Die drei Bewohner waren allein
zurückgeblieben.
Und jetzt, kurz vor Mitternacht, da Charles und Phyllis
zu Bett gegangen waren, war Teri MacIver als einzige
noch wach.
Rastlos lief sie durch die leeren Zimmer. Sie kamen ihr
vor, als sähe sie sie zum erstenmal.
Denn seit heute, da Melissa endlich verschwunden war,
hatte sie wirklich das Gefühl, Maplecrest gehöre ihr allein.
Sie verweilte noch im Erdgeschoß. Den Augenblick, auf
den sie sich am meisten freute, schob sie noch ein bißchen
hinaus. Schließlich hielt sie es nicht länger aus.
Lautlos stieg sie die Treppen hinauf. Vor dem großen
Schlafzimmer blieb sie stehen und lauschte. Kein Laut. Ihr
Vater und ihre Stiefmutter schliefen fest.
Sie ging in den anderen Flügel. An der eigenen Tür lief
sie vorbei und machte statt dessen Melissas Tür auf. Sie
schlüpfte in den dunklen Raum, schloß die Tür hinter sich
und knipste das Licht an.
Das blutgetränkte Kleid, das sie vor wenigen Stunden
Melissa ausgezogen und auf den Boden geworfen hatten,
war weg. Cora mußte es weggeschafft haben.
Vielleicht hatte es auch die Polizei mitgenommen, um zu
untersuchen, ob das Blut auch wirklich von Todd stammte.
Zu bedeuten hatte das ja nichts mehr. Melissa war nicht
mehr da, und Teri hatte keine Verwendung mehr für das
Kleid.
Seinen Zweck hatte es ja erfüllt.
Sie legte sich auf Melissas großes Bett. Genüßlich
streckte sie sich der Länge nach aus und malte sich aus,
was sie aus dem Zimmer machen würde.
Melissas Sachen – und zwar alle – mußten auf den
Speicher. Und dann war eine Renovierung nötig.
Angewidert sah sie die Tapete an. Vielleicht ließ sie sie
durch Seide ersetzen. So etwas hatte sie in Zeitschriften
gesehen. Immer wenn sie in ihrem Bett in San Fernando
gelegen und an Maplecrest gedacht hatte, hatte sie sich ein
Zimmer mit Seidentapeten vorgestellt. Smaragdgrün mit
eingewebten weißen Fäden.
Bei der bloßen Vorstellung mußte sie lächeln. Sie
kuschelte sich tief in die weiche Matratze. Eine wohlige
Schläfrigkeit übermannte sie. Noch einmal blickte sie zur
Decke empor. Darüber lag das Mansardenzimmer unter
den Dachsparren.
»Danke, D’Arcy«, sagte sie mit einem leisen Kichern.
»Du warst eine große Hilfe.«
Wenige Minuten später versank sie allmählich in Schlaf.
Ein Geräusch von oben – so leise, daß sie es kaum
wahrnahm – drang an ihr Ohr.
Vielleicht ist es D’Arcy, dachte sie. Vielleicht lacht sie
genauso wie ich.
28
Es war ein herrlicher Nachmittag, wie ihn die Mitglieder
des Cove Club fast schon als Gewohnheitsrecht vor dem
traditionell im August stattfindenden Vollmondball
betrachteten. Den ganzen Juli und August hatte drückende
Hitze über der Küste gelastet. Das Leben hier kroch nur
noch vor sich hin. Spätestens um
Weitere Kostenlose Bücher