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Teuflische Schwester

Teuflische Schwester

Titel: Teuflische Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Saul
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Welt.«
Fünf Minuten später fuhren sie vor Maplecrest vor.
Keiner machte jedoch Anstalten auszusteigen. Sie blieben
statt dessen still sitzen und starrten auf das Haus, in dem
sie bis vor fünf Jahren jeden Sommer verbracht hatten.
Aber im Gegensatz zum Dorf hatte Maplecrest sich sehr
wohl verändert.
Rein äußerlich schon wirkte es verwahrlost. Die Farbe
blätterte vom Putz, und der Rasen wucherte wild. Wie alle
leerstehenden Häuser hatte es etwas Einsames an sich, als
sei es sich dessen bewußt, daß niemand mehr in ihm leben
wollte.
Nach einiger Zeit gingen sie doch hinein. Schweigend
liefen sie durch die verstaubten Räume. Von den Möbeln
war kaum etwas zu sehen. Seit Jahren waren sie mit
weißen Tüchern zugedeckt. Vater und Tochter waren
jeweils mit ihren eigenen Erinnerungen beschäftigt. Zum
Schluß ging Melissa in ihr ehemaliges Zimmer im ersten
Stock.
Es war nicht mehr das ihre. Die von Teri ausgewählten
Möbel standen noch dort. Nichts kam ihr mehr vertraut
vor. Eigentlich, so sagte sie sich, war es ganz gut so.
Wenn sie jemals nach Maplecrest zurückkehrte, würde sie
wenigstens dieses Zimmer nicht mehr verfolgen, würden
nicht zu viele Bilder aus der Vergangenheit über sie
hereinbrechen, mit denen sie am Ende nicht fertig würde.
Die vielen Sachen aus der Kindheit waren
verschwunden. Sie wußte, daß sie irgendwo auf dem
Speicher verstaut waren. Ein andermal wollte sie sie
vielleicht noch einmal sehen, aber nicht heute.
Für heute genügte es ihr, daß sie ohne Angst und böse
Ahnungen ins Haus treten konnte.
Die Erinnerungen waren geblieben, aber die
Vergangenheit konnte ihr nichts mehr anhaben.
    Am Abend um halb neun parkte Charles den Mercedes vor
dem Cove Club und eilte unverzüglich um den Wagen
herum, um Melissa herauszuhelfen. Vor dem Ballsaal stand
eine kleine Gruppe in ein ruhiges Gespräch vertieft. Sie
verstummten jäh, als sie Charles und Melissa erkannten.
    Charles hatte sich in diesen fünf Jahren wenig verändert.
Sein Haar war an den Schläfen ergraut, und in die Stirn
hatten sich Falten gegraben.
    Aus Melissa dagegen war eine Erwachsene geworden.
Sie war jetzt so groß wie ihr Vater und hatte den
Babyspeck längst verloren – eine elegante, schlanke
Erscheinung. Ihr Gesicht mit seinen hohen
Wangenknochen und dem weit geschwungenen Kinn hatte
etwas Geheimnisvolles, Berückendes an sich. Vor allem
die großen dunkelbraunen Augen erregten Bewunderung.
Neugierde funkelte darin, zugleich strahlten sie aber auch
Gutmütigkeit aus und eine für ihr Alter äußerst
ungewöhnliche Tiefe und Weisheit.
    Sie spürte sämtliche Blicke auf sich und ihrem
dunkelroten Kleid, in dem ihre Figur noch besser zur
Geltung kam.
    Spürte, daß sie angestarrt, aber nicht ausgelacht wurde.
Die Hand ihres Vaters schloß sich fester um ihren Arm.
»Kannst du’s ertragen?« raunte er so leise, daß nur sie
    ihn hören konnte.
Sie lächelte ihn an. »Ich fühle mich bestens.«
Eine Stunde später wußten sie, daß sie die Wahrheit
gesagt hatte. In den ersten Minuten, als alle sie
schweigend und mit offenen Mündern angafften, hatten sie
    schon schlimme Vorahnungen befallen. Aber sie hatte sich
fest vorgenommen, nicht zurückzuweichen, und war mit
ausgestreckter Hand und einem warmen Lächeln
weitergegangen. Und es war richtig so gewesen.
    Jetzt, da die ersten Takte eines langsamen Walzers
erklangen, spürte sie jemanden hinter sich. Sie drehte sich
um und erkannte Brett Van Arsdale. Mit einundzwanzig
Jahren sah er noch besser aus als damals. Er lächelte sie
unsicher an. Als er zu sprechen anfing, zitterte seine
Stimme leicht. So habe ich mich früher immer gefühlt,
dachte Melissa. Er weiß nicht, ob ich mit ihm sprechen
werde. Aber auf seine fast schüchterne Bitte hin, mit ihm
zu tanzen, nickte sie sofort und glitt anmutig in seine
Arme. Ein paar Minuten tanzten sie durch die Menge,
ohne ein Wort zu wechseln. Schließlich löste er sich so
weit von ihr, daß ihre Blicke sich treffen konnten.
    »Ich kann dir gar nicht sagen, wie leid mir das alles tut«,
fing er mit erneut bebender Stimme an. »Ich meine, nicht
nur ich, wir alle haben ein entsetzlich schlechtes Gewissen
wegen unseres Verhaltens damals. Ich weiß, daß es für
eine Wiedergutmachung jetzt zu spät ist, aber …«
    Melissa legte ihm einen Finger auf die Lippen. »Es ist
nicht zu spät«, sagte sie. »Und ich weiß, wie die anderen
sich fühlen. Ich seh’s ihnen an den Augen an. Aber

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