Teuflische Schwester
daß deine Mutter sie abgefangen haben
soll. Letztes Weihnachten erst habe ich dir eine
Perlenhalskette geschickt. Es waren wunderschöne rosa
Perlen. Und sie waren nicht das einzige Geschenk.
Spielzeug habe ich dir geschickt, als du klein warst,
Kleider, alles mögliche. Du hast immer noch einen Vater.
Und dazu sind jetzt eine Stiefmutter und eine Schwester
gekommen.«
Teri setzte sich abrupt auf und sah Charles aufgeregt an.
»Eine Schwester«, flüsterte sie. »Wie ist sie eigentlich?«
Charles lächelte im Halbdunkel. »Du wirst sie gern
haben. Gestern war ihr dreizehnter Geburtstag. Ich soll dir
von ihr ausrichten, wie leid ihr das alles tut, aber daß sie
sich unheimlich auf dich freut, weil sie endlich das
bekommt, wonach sie sich immer gesehnt hat – eine
Schwester. Jetzt hat sie eine.«
Teri rutschte unbehaglich hin und her. »Aber … aber
was ist, wenn sie mich nicht mag?«
Charles drückte ihr sanft die Hand. »Natürlich wird sie
dich mögen«, versprach er ihr. »Sie wird dich genauso
gern haben wie ich.«
Sie plauderten noch eine Weile miteinander, bis Teri
sich endlich beruhigte und ihre Tränen versiegten.
Schließlich deckte Charles sie zu und gab ihr den
Gutenachtkuß. »Und vergiß nicht«, mahnte er sie. »Wenn
du dich wieder allein fühlst, kommst du einfach zu mir
rein und weckst mich.«
Teri nickte. Als Charles das Zimmer verlassen und die
Tür hinter sich zugezogen hatte, blieb sie regungslos in der
Dunkelheit liegen und dachte nach.
Sie dachte an ihre Mutter.
An ihre Mutter und ihren Stiefvater.
Und ihren richtigen Vater.
Eigentlich war es heute nacht nicht anders als in all den
Nächten davor, in denen sie schlaflos im Bett gelegen
hatte und sich zu erklären versucht hatte, warum ihre
Mutter ihren richtigen Vater verlassen hatte. Es kam ihr so
vor, als sei damals in dem riesigen Haus alles vollkommen
harmonisch gewesen. Natürlich konnte sie sich nicht mehr
daran erinnern. Bei der Scheidung war sie ja keine drei
Jahre alt gewesen. Und seitdem war sie nie wieder dort
gewesen. Trotzdem hatte sie Secret Cove insgeheim
immer als ihre eigentliche Heimat betrachtet, wo sie auch
hingehörte.
Und jetzt kehrte sie nach Hause zurück.
Wenn nur ihre Mutter mitkommen könnte. Dann wäre
alles so wie damals, als sie ein Baby war. Da war die Welt
noch in Ordnung gewesen …
Sofort verscheuchte sie den Gedanken wieder. Es hatte
keinen Sinn, sich mit dem Unmöglichen zu beschäftigen.
Sie wälzte sich auf die andere Seite und versuchte
einzuschlafen, aber der Schlaf wollte nicht kommen.
Schließlich schaltete sie das Licht an, ging zur Kammer
und griff in die Tasche ihres Bademantels. Zufrieden legte
sie sich wieder ins Bett. In der Hand hielt sie den einzigen
Gegenstand, den sie aus dem brennenden Haus gerettet
hatte.
Sie hielt ihn sich vor die Augen und betrachtete ihn
eingehend.
Es war eine Halskette aus rosa Perlen.
Lange sah sie sie an, betastete ihre glatte Oberfläche und
rieb sie sanft gegen das Gesicht. Als sie eine Stunde später
einschlief, hielt sie die Perlenhalskette immer noch in der
Hand.
5
»Teri. In zwanzig Minuten landen wir.«
Teri blinzelte, öffnete die Augen ganz und streckte sich,
soweit es die Sitze der DC 9, Business Class, zuließen. Ihr
Mund war ganz ausgetrocknet, und obwohl sie ein bißchen
geschlafen hatte, fühlte sie sich, als hätte sie die ganze
Nacht kein Auge zugetan. Ihre Augen brannten, und jeder
einzelne Knochen tat ihr weh.
»Trink das.« Gehorsam nahm sie ein Glas Orangensaft
von ihrem Vater entgegen.
»Ich hasse Nachtflüge«, brummte Charles Holloway
mißmutig. »Vor allem die nach Osten im Sommer. Wenn
man an Bord geht, scheint noch die Sonne und bei der
Ankunft ist es schon wieder Morgen. Aber man hat das
Gefühl, die Nacht sei ausgefallen. Warum gehst du nicht
auf die Toilette und wäschst dir das Gesicht? Du siehst
dann gleich viel frischer aus.«
Teri, die ihrer Stimme noch nicht wieder ganz traute,
nickte stumm und kletterte über ihren Vater auf den
Mittelgang. In die winzige Toilette nahm sie die
Handtasche mit, die ihr Vater ihr vor zwei Tagen gekauft
hatte. Sie spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht und
versuchte sich zu kämmen. Beim Anblick des eigenen
Spiegelbilds zuckte sie zusammen. Ihre Augen sahen
richtig verquollen aus. Und aus dem Gesicht schien über
Nacht die ganze Bräune gewichen zu sein. Die Person, die
sie da anstarrte, sah fahl aus, als wäre sie lange Zeit krank
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