Teuflische Schwester
Damen zum eigentlichen
Thema ihrer Zusammenkunft, zum Kostümfest, das von
jeher genau in der Mitte der Ferien stattfand. Phyllis
meldete sich zwar nicht zu Wort, aber immerhin lief die
Diskussion nicht ganz an ihr vorbei. In Gedanken war sie
immer noch bei Teris Ankunft. Vielleicht war es doch ein
Fehler, sie mit dem Zimmer neben dem von Melissa
abzuspeisen. Vielleicht sollte sie Teri doch das größere im
Ostflügel geben. Dieses unerwartete zweite Kind brauchte
jetzt unbedingt einen ordentlichen Empfang. Sie nahm
sich vor, sofort mit Cora darüber zu sprechen, sobald sie
hier fertig war. Nein, am besten, sie rief sie von hier aus
an. Vielleicht blieb sie ja nach dem Essen und trank auf
der Terrasse neben dem Becken ein, zwei Martinis. Sie
entschuldigte sich und machte sich auf die Suche nach
einem Telefon.
Kaum war sie weg, beugte sich Lenore Van Arsdale vor.
»Mein Gott«, raunte sie. »Könnt ihr euch vorstellen, was
Polly jetzt denken würde? Jetzt hat Phyllis ihr nicht nur
den Mann weggeschnappt, sondern auch noch die
Tochter!«
»Eins verstehe ich ja nicht«, warf Kay Fielding ein.
»Warum bleibt Charles überhaupt bei dieser Frau? So
wie sie ihn behandelt …«
»Es ist wegen Melissa«, antwortete Eleanor Stevens.
»Charles war eben immer ein anständiger Kerl. Ich kann
mir nicht vorstellen, daß er Melissa dieser Phyllis
überlassen würde.«
»Aber das wäre doch gar nicht nötig«, gab Kay zu
bedenken. »Kein Gerichtshof der Welt würde ihm das
Sorgerecht verweigern.«
»Natürlich«, pflichtete ihr Eleanor bei. »Aber darum
geht es auch gar nicht. So wie ich Phyllis einschätze,
würde sie mit Klauen und Zähnen kämpfen. Und Melissa
hätte das Nachsehen. Jahrelang würden sie sich vor
Gericht streiten, selbst wenn sie wüßte, daß sie keine
Chance hat. Charles will Melissa das ersparen. Und ich
kann es ihm nicht verdenken.«
»Dann muß sie ja bei Phyllis bleiben!« stöhnte Kay.
»Das Leben kann schon ungerecht sein. Phyllis ist eine
entsetzliche Nervensäge. Und die arme Melissa wird von
Tag zu Tag sonderbarer. Es würde mich nicht wundern,
wenn …«
Ein Tritt vors Schienbein ließ sie verstummen. Sie drehte
sich gerade noch rechtzeitig um, um Phyllis mit
versteinerter Miene hinter sich stehen zu sehen.
Fünf Minuten später klemmte sich Phyllis hinter das
Lenkrad ihres Mercedes. Endlich konnte sie ihrer Wut
freien Lauf lassen. Sie drückte das Gaspedal bis zum
Anschlag durch und schoß mit quietschenden Reifen aus
der Parklücke. Auf der Küstenstraße ließ sie bei
unverminderter Geschwindigkeit das Fenster herunter,
damit der Wind ihr etwas Abkühlung bringen konnte.
Noch war ihr Kopf hochrot, und Kays letzte Worte
klangen ihr in den Ohren: »… die arme Melissa wird von
Tag zu Tag sonderbarer.« Kein Wunder, daß ihr der
Zugang zur Welt von Secret Cove so schwer fiel. Alle
meinten, mit ihrer Tochter stimme etwas nicht! Und
warum auch nicht?
Seit dem Tag ihrer Geburt war Melissa ganz anders
gewesen als die übrigen Kinder hier. Mit Teri hatte sie
auch gar nichts gemeinsam gehabt.
In den wenigen Monaten, in denen Phyllis sie versorgt
hatte, war Teri ein wunderbar angenehmes Baby gewesen.
Sie war schon mit blonden Haaren und blauen Augen auf
die Welt gekommen. Schwierigkeiten hatte es nie mit ihr
gegeben. Sie hatte jedermann glücklich angestrahlt und die
Hände nach allem und jedem ausgestreckt.
Melissa war das genaue Gegenteil gewesen. Ständig
hatte sie geweint, wenn nicht gerade ihr Vater sie in die
Arme genommen hatte. Und während Teri schon als Baby
sehr extravertiert gewesen war, hatte Melissa nie mit
anderen gespielt. Am Strand und überall sonst war sie
lieber für sich geblieben. Richtiggehend abgeschottet hatte
sie sich. Mit ihrem seltsamen Verhalten hatte sie ihre
Mutter dem Gespött der Leute preisgegeben.
Ihrer Überzeugung nach war Melissa von dem Tag ihrer
Geburt an schuld daran, daß sie nie richtig in die
Gemeinschaft von Secret Cove aufgenommen worden
war.
Das hatte sie einfach nicht verdient. Dabei hatte sie es
sich ganz anders vorgestellt. Sie hatte Pollys Platz an
Charles’ Seite und als Mutter seiner Tochter
eingenommen. Von daher war es nur recht und billig,
wenn sie auch ihren Rang in der Gesellschaft von Secret
Cove einnahm. Aber dazu war es nie gekommen.
Jetzt freilich kam Teri. Und damit bot sich Phyllis eine
neue Chance, vorausgesetzt, Melissa verdarb sie ihr nicht.
Hoffentlich hatte Teri sich auch nicht
Weitere Kostenlose Bücher