Teuflische Schwester
Foto.
Die Augen waren tiefblau, und das aus dem Gesicht
gekämmte Haar sah aus wie frisch gewaschen. Sie trug
eine weiße Bluse und Khaki-Shorts. Es waren fast
dieselben wie die von Melissa, nur Teri paßten sie genau,
während sie an Melissa wie ein Kartoffelsack
herunterhingen.
»H-Hi«, stammelte Melissa. Ihrer Halbschwester
gegenüber fühlte sie sich noch gehemmter als sonst.
»Zumindest könntest du deiner Schwester einen Kuß
geben«, wies Phyllis sie zurecht und gab ihr einen Stoß.
Errötend stolperte Melissa auf Teri zu. Die bemerkte ihre
Verlegenheit augenscheinlich und grinste sie an.
»Lieber nicht. Ich muß am ganzen Leib stinken.«
»Du siehst aber durchaus frisch aus«, erklärte Phyllis
und trat an Melissa vorbei, um Teri in die Arme zu
schließen. »Kannst du dich überhaupt an mich erinnern?
Ich habe mich um dich gekümmert, als du ganz klein
warst.«
Sie drückte Teri fest an sich. »Es tut uns allen so
schrecklich leid, was passiert ist«, fuhr sie mit gedämpfter
Stimme fort. »Es muß entsetzlich für dich gewesen sein.«
Teri erwiderte die Umarmung, sagte aber nichts. Alle
sahen betreten drein. Charles erlöste sie schließlich.
»Fahren wir mal heim«, schlug er vor. »Wo ist der
Wagen?«
»Auf dem Parkplatz«, antwortete Phyllis. »Du kannst
mit Melissa ja schon vorausgehen. Ich kann Teri mit dem
Gepäck helfen.«
»Ich habe keins«, erklärte Teri leise. »Ich habe nur die
paar Kleinigkeiten, die mir Vater gekauft hat. Der Rest…«
Ihre Stimme erstarb. Unverzüglich legte Phyllis den Arm
verständnisvoll um ihre Schulter.
»Mach dir deswegen keine Sorgen. In Secret Cove haben
wir einen aufregenden Laden neben dem anderen. Und
morgen kleiden wir dich neu ein.«
Melissa lief Hand in Hand mit ihrem Vater. Alle paar
Sekunden drehte sie sich nach ihrer neuen Schwester um.
»Na, was hältst du von ihr?« fragte er sie
augenzwinkernd.
»Sie ist wunderschön«, flüsterte Melissa.
Charles drückte ihr fest die Hand. »So schön wie du ist
sie nicht, mein Schatz«, versicherte er seiner Tochter und
zog sie näher zu sich.
In der Gegenwart ihres Vaters legte sich ein wenig die
Spannung der letzten Tage. Ihr Vater war wieder da, für
ein paar Tage wenigstens. In der Zeit war sie sicher. Und
wenn Teri dabei war, hielt sich ihre Mutter vielleicht ein
bißchen zurück. Vielleicht konnte Teri ihr genausoviel
Schutz geben wie ihr Vater.
Sobald der Mercedes die Flughafenautobahn verließ und
auf die Landstraße nach Secret Cove abbog, spähte Teri
durch das Heckfenster nach irgend etwas Vertrautem.
Aber nichts kam ihr bekannt vor, auch nicht das kleine
Dorf mit seinen gepflegten Geschäften, die entweder aus
dem letzten Jahrhundert stammten oder dem damaligen
Stil getreu nachempfunden waren. Nein, Teri erkannte
nichts wieder, doch der Anblick war faszinierend. Von
San Fernando Valley her war sie endlose, schnurgerade
Straßen vorbei an gigantischen Supermärkten oder
Schnellimbißrestaurants gewöhnt. Hier fuhr man durch
einen Wald und war plötzlich mitten in Secret Cove. Da
die Straße sich durch den Ort schlängelte, fühlte Teri sich
eher an einen Park erinnert. Jedes Geschäft hatte
Blumenkästen vor dem Fenster und einen sauber
gepflegten Vorgarten. Früher war das anscheinend eine
reine Wohngegend gewesen.
»Das ist ja herrlich!« rief Teri. Zum erstenmal wandte
sie sich an Melissa. »War das schon immer so?«
Melissa nickte. »Heute lebt keiner mehr im Dorf. Die,
die ständig hier leben, haben ihre Häuser weiter im
Westen. Es gibt auch alle möglichen Vorschriften, was sie
im Dorf überhaupt tun dürfen. Wir haben zum Beispiel
eine eigene historische Gesellschaft, die dafür sorgt, daß
sich nichts verändert.« Sie kicherte leise. »Cora – das ist
die Haushälterin – meint, daß sie den ganzen Ort in ein
Museum verwandeln wollen. Aber Todd findet das nicht
so schlimm, weil für ihn die ganzen Bewohner ohnehin
schon Fossilien sind.«
»Wer ist Todd?«
»Coras Enkel. Er lebt bei ihr. Seine Eltern sind einfach
weggegangen und haben ihn zurückgelassen. Hättest du so
etwas für möglich gehalten?«
Teri schüttelte den Kopf. »Was für ein Typ ist er denn?
Sieht er toll aus?«
Phyllis mischte sich vom Beifahrersitz aus ins Gespräch
ein. »Er ist ein ganz gewöhnlicher Junge. Er arbeitet ein
bißchen im und ums Haus. Wenn er erwachsen ist, wird er
wohl eins von den Mädchen im Ort heiraten.«
»Das stimmt doch nicht!« rief Melissa. »Er
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