Teuflische Schwester
sich mit dem
Kadaver auf den Weg ins Haus zurück. Halb trug sie ihn,
halb schleifte sie ihn durch die Küche zur Vorhalle und
den Dienstbotenaufgang hinauf.
Zunächst wußte Melissa nicht, um was für Geräusche es
sich da handelte. Ja, sie glaubte sich vielleicht getäuscht
zu haben. Sie saß allein in einem konturlosen weißen
Zimmer, das ihr bisweilen so endlos groß vorkam, daß sie
die Wände gar nicht mehr wahrnahm. Und dann wiederum
rückten die Wände bedrohlich auf sie zu, daß sie zu
ersticken vermeinte.
Sie hatte keine Ahnung, warum oder seit wann sie sich
in diesem Zimmer aufhielt.
Aber ihr war klar, daß das mit einer Strafe
zusammenhing. Sie mußte für irgendein Verbrechen
büßen, konnte sich jedoch nicht erinnern, je eins begangen
zu haben.
Es war leise im Zimmer, so leise, daß sie nur ihren Atem
und das rhythmische Pochen ihres Herzens vernehmen
konnte.
Es war, als hätte sie ewig in dieser Stille gesessen, doch
irgendwann hatten die anderen Geräusche eingesetzt. Und
jetzt konnte sie sie einordnen. Es waren Schritte.
Sie hatten etwas Bedrohliches an sich. Melissa wußte,
daß die Person, die sich da ihrem Zimmer näherte, sie
holen kam.
Die Schritte würden nicht vorübergehen und in der Ferne
verhallen. Nein, sie würden vor ihrem Zimmer
stehenbleiben, und sie mußte dann warten. Warten, bis die
Tür aufging.
Das hohle Pochen wurde lauter. Mit einem Schlag
bewegten sich die Wände wieder auf sie zu, drohten sie zu
zerquetschen. Sie blickte gehetzt um sich. Ein Ausweg
war nicht zu erkennen.
Und selbst, wenn sie davonrennen könnte, draußen
lauerte doch nur dieses grauenhafte Wesen, dessen
Schritte bedrohlich näher kamen. Die Wände rückten noch
enger um sie zusammen, und plötzlich schlug Melissa
nach ihnen aus, schlug und trat mit aller Kraft.
Mit einem Ruck fuhr sie hoch und war wach. Im ersten
Moment wußte sie nicht, wo sie war. Allmählich wich der
Traum aus ihrem Bewußtsein, und das Zimmer um sie
nahm wieder Konturen an.
Ihr Zimmer.
Sie war zu Hause im Bett und …
Festgebunden?
Ihr Herz setzte einen Schlag lang aus. War die Mutter
doch noch gekommen, um sie zu fesseln, als sie schon
geschlafen hatte?
Die alte Panik stieg wieder in ihr hoch. So erging es ihr
immer, wenn sie die Gurte um die Gelenke spürte. Sie
machte sich schon für den stillen Hilfeschrei an D’Arcy
bereit, doch zuvor zogen sich alle Muskeln in einem
Reflex zusammen.
Ihre Füße ließen sich bewegen.
Sie war also doch nicht gefesselt.
Sie hatte sich nur ins Laken gewickelt, so daß der Arm
am Körper klebte. Sie wälzte sich auf die andere Seite und
wand sich mühsam frei. Endlich war es soweit. Sie
strampelte das Laken von sich und setzte sich auf.
Da hörte sie die Schritte wieder.
Klar und deutlich hallten sie durch die stille Nacht.
Melissa lauschte gebannt.
Die Schritte kamen wieder. Sie glaubte im ersten
Schreck, es sei ihre Mutter. Hatte sie im Traum geschrien
und damit ihre Mutter geweckt?
Ein Poltern war zu hören, dann kamen die Schritte
wieder.
Das war aber nicht vor ihrem Zimmer.
Die Geräusche kamen von oben.
Vom Speicher.
Melissa lauschte mit unwillkürlich angehaltenem Atem
und wartete, bis sie wieder zu hören waren.
Da kamen sie. Einmal, zweimal, dreimal. Dann war
wieder Stille.
D’Arcy.
Bei diesem Gedanken atmete Melissa wieder aus. Aber
D’Arcy konnte das nicht sein. D’Arcy kam immer zu ihr.
Außerdem gab es sie gar nicht. Sie hatte sie erfunden.
Oder?
Als die Schritte erneut über der Decke widerhallten,
stand Melissa auf. Sie zog den Morgenrock an, nahm die
Taschenlampe aus der Schublade, öffnete die Tür und
spähte in den Gang hinaus.
Er war leer. Die Türen schienen einander ausdruckslos
anzustarren. Melissa schlich in den Gang hinaus. Ihr
Zimmer ließ sie offen.
Langsam tastete sie sich zur Speichertreppe vor.
Zögernd blieb sie vor der Tür stehen.
Was war, wenn die Schritte auch ihre Mutter geweckt
hatten?
Was war, wenn ihre Mutter sie mitten in der Nacht auf
dem Speicher fand?
Aber diesmal war es anders. Sie war wach und wußte,
was sie tat.
Lautlos machte sie die Tür auf. Die vertraute Treppe
dahinter, die sie schon Hunderte von Malen auf und ab
gerannt war, kam ihr jetzt steiler vor.
Steiler, dunkler, und sie schien in eine gähnende
schwarze Leere zu führen.
Sie schaltete die Taschenlampe ein, doch der Lichtkegel
durchdrang kaum die Dunkelheit.
Und dennoch. Trotz der Finsternis schienen bedrohliche
Schatten sie herbeizuwinken,
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