Teuflische Stiche
unbefangenen, jugendlichen Dynamik? Bremste ihn die altmodische Vorstellung, der Mann müsse vorangehen? Er wollte hier vor Gräbern und so kurz vor einer gefahrvollen Begegnung nicht intensiv darüber nachdenken. Ein anderes Mal, im Gartenstuhl auf meiner Terrasse, wird die Situation entspannter sein.
Der Anruf von Venske schreckte ihn aus seinen Gedanken auf. Es gab nichts zu berichten, nur abzuwarten.
Mit der Zeit rutschte er auf der Decke immer weiter nach vorn und kam mehr und mehr in eine horizontale Lage. Er betrachtete den Himmel und suchte das Sternbild des Krebses und erinnerte sich an den Kampf des Guten gegen das Böse. Er setzte sich wieder aufrecht und qualmte dicke Wolken vor sich hin. Was gibt uns Menschen eigentlich jeden Morgen die Kraft, diesen nicht zu gewinnenden Krieg neu aufzunehmen, fragte er sich. Für sich konnte er eine Antwort geben. Aber auch Venske kämpfte mit und die Staatsanwältin. Auch die Staatsanwältin. Er rutschte erneut in die halb liegende Position und dämmerte hinüber in einen unruhigen Schlaf.
Ein Geräusch weckte ihn. Langsam richtete er sich auf. Er lauschte. Seine Rückenmuskulatur schmerzte im Lendenbereich. Das Rascheln kam von der Rampe hinter ihm. Er drehte sich um, erkannte aber nichts Ungewöhnliches. Stand von Eck da im Schatten und beobachtete ihn, wie vor einer Woche? War es die Frau, die ihn angerufen hatte? Oder kam das Geräusch nur von einer Ratte auf Futtersuche.
Venske könnte jetzt, wie die Helden in Wildwestfilmen, seinen Mantel zur Seite schlagen, stellte sich Konnert vor. Sein Kollege würde neben sein Pistolenholster fassen und aus einer ledernen Gürteltasche eine Taschenlampe hervorziehen. Ich habe weder eine Pistole noch eine Taschenlampe dabei.
Das Geräusch war verschwunden. Wartete die Person einfach nur still? Konnert erhob sich dann doch, kramte sein Feuerzeug aus der Tasche, hielt es hoch und ließ es aufleuchten. Niemand stand auf der Rampe. Oder doch? An der dunklen Gebäudewand zeichnete sich bei angestrengtem Hinsehen schwach ein Schatten ab. Die Flamme erlosch. Und als er sie erneut anknipste, war da nichts mehr.
***
Pauschler saß einsam in dem Sessel am Besprechungstisch. Den obersten Knopf seiner Hose hatte er geöffnet und die Schuhe ausgezogen. Er blinzelte zum Wandschrank mit den Getränken. Seit Stunden zermarterte er sich sein Gehirn. Was erwartete dieser Herumtreiber von selbst ernanntem Freiherrn? Ich will mit dem nicht reden! Worüber denn? Es ist doch alles gesagt. In Ruhe lassen soll er mich.
Und warum schmeiße ich den Kasten nicht ins Feuer und fahre nach Hause? Die einzig plausible Antwort, die er fand, hieß: Weil dann morgen ein neues Päckchen geschickt wird. Und außerdem war es nicht seine Art, Problemen auszuweichen.
Um halb eins drückte er erneut die Wiederwahltaste. Er wartete und zählte die Klingeltöne mit. Vier. Fünf. War sein Anruf abermals zu früh?
Die Frauenstimme meldete sich. »Hör zu! Nimm dein Handy mit und vergiss das Geschenk nicht. Mach dich auf den Weg nach Oldenburg. Sofort!« Dann rauschte es für einen Augenblick im Hintergrund und der Anruf war beendet.
Verflucht. Ich bin wieder nicht zu Wort gekommen.
Die leere Cognacflasche war in der Zwischenzeit im Papierkorb gelandet. »War auch nicht mehr ganz voll«, entschuldigte sich Pauschler. Whisky stand noch im Schrank. Guter Whisky. »Ich muss Auto fahren«. Er ließ die Flasche, wo sie war. »Sonst bin ich völlig betrunken.«
Er wuchtete sich aus dem Sessel hoch, stopfte sein Hemd in die Hose, schloss den obersten Knopf und zog mit einem Ruck den Gürtel stramm. »Ups!« Als er sich bückte, um die Schuhe anzuziehen, wurde ihm kurz übel. Er schlurfte in die Nasszelle neben seinem Büro, urinierte und warf sich kaltes Wasser ins Gesicht. Beim Abtrocknen sah er sich im Spiegel. »Hast schon mal besser ausgesehen«, kommentierte er, »muss heute auch so gehen.«
Einem plötzlichen Einfall folgend, nahm er die Petrischale und betrat den Raum neben seinem Büro. Er streifte sich Einmalhandschuhe über und öffnete eine Schublade in einem weißen Metallschrank mit Glastür. Einem Karton entnahm er eine großvolumige Injektionsspritze mit grünem Kolben und einer passenden Nadel. Vorsichtig öffnete er die Glasschale, befüllte die Spritze und setzte der Nadel ihren Plastikschutz auf. Er schloss die Augen. Liebend gern hätte er sich wieder hingesetzt. Stattdessen streckte er sich und schüttelte heftig den Kopf.
Bis ihm einfiel,
Weitere Kostenlose Bücher