Teuflische Stiche
Satz noch nicht zu Ende gesprochen, da tat er ihm leid.
»Die Kollegen in Aachen suchen die Akte von damals heraus und rufen morgen zurück.« Auf das durchsichtige Manöver seines Chefs ging Venske nicht ein.
***
Gegen achtzehn Uhr erreichte Konnert eine Mail aus der Kriminaltechnik. Entweder ich bekomme endlich einen neuen Bildschirm, oder ich hole mir einen eigenen Drucker ins Büro und drucke alles wie früher aus. Er kniff die Augen zusammen und fand als Erstes die Liste der untersuchten Kleidungsstücke. Er überflog die einzelnen Positionen. Aufmerksam wurde er beim Inhalt des Abfalleimers aus dem Badezimmer: »11 Wattestäbchen; 8 Papiertaschentücher; 27 Papierhandtücher, hellgrün, mit Kot und Erbrochenem verschmutzt; 1 Einmalrasierer, in Papiertaschentuch eingewickelt; 5 Unterhemden, schwarz; 5 Boxershorts, schwarz; 1 Slip, dunkelblau«. Konnert las weiter. »Slip oberflächlich gereinigt, Reste von dünnflüssigem Kot«. Seine Augen jagten den Text entlang und suchten eine Erklärung für die Verschmutzungen. Er fand keine.
Wofür gibt es Internet? Konnert öffnete Wikipedia und las ein paar Seiten über Pilzvergiftungen. Dann nahm er eines seiner karierten Blätter und versuchte, sein neu erworbenes Wissen mit den bekannten Ermittlungsereignissen zu koordinieren: »Donnerstag (21.3.) Todestag. Der Tod tritt bei einer unbehandelten Knollenblätterpilzvergiftung am fünften Tag ein. Also vergiftet am Sonntag (17.3.). Montag (18.3.) leidet sie unter starker Übelkeit mit Erbrechen und Durchfall. Dienstag (19.3.) klingen die Krankheitssymptome vorübergehend ab. Sie geht zum Essen in den Tagesaufenthalt. Mittwoch und Donnerstag kehren die Beschwerden massiv zurück. Sie stirbt in der Wohnung vom Freiherrn an Leberversagen infolge der Vergiftung.«
Mit Pfeife und Tabaksbeutel in der linken Hand und dem rechten Daumen zum Stopfen bereit, schreckte Konnert auf, als sein Telefon klingelte. Er nahm zögernd den Hörer ans Ohr.
»Wehmeyer hier. Sie sind noch im Haus. Gut. Kommen Sie nach oben!«
***
Die Hausnummer fiel ihm nicht mehr ein. Aber wie die Tür des Hauses in Kreyenbrück aussah, in dem Ewald Schäperklaus unterm Dach eine Bleibe gefunden hatte, das wusste Maik Addiksen genau. Außerdem würde das alte schwarze Hollandrad mit dem verschlissenen Kleinkindanhänger an der Hauswand lehnen.
»Du hast doch gar keine Kinder«, versuchte er, Schäperklaus immer wieder aufzuziehen. Der wiederholte geduldig seine Begründung: »Wenn ich schon alles vier Etagen hochschleppen muss, dann will ich nicht noch alles in Taschen bis hier anschleppen müssen.« Schleppen ist sein Lieblingswort, ging es Addiksen durch den Kopf. Freunde durchschleppen, Frauen abschleppen, sich den ganzen Tag rumschleppen. Addiksen grinste. Verschleppen ist sein Lebensinhalt. Alles, was nicht niet- und nagelfest ist, verschleppt er in seine Wohnung, seinen Keller, seinen Verschlag hinterm Haus. Das hat ihn manches Jahr in staatliche Versorgung verschleppt. Die Aufenthalte auf Kosten des Staates haben ihm so wenig genutzt wie mir, stellte Addiksen abschließend fest. Wir sind nun mal so, wie wir sind.
Er fand das Fahrrad neben der Haustür und klingelte. Augenblicke später erschien ein rundes Gesicht mit Kinnbart in einem Fenster über ihm. »Komm hoch, und schlepp die Kiste Bier nach oben, die vor der Tür steht.« Ein Schlüsselbund fiel ihm vor die Füße. Addiksen schloss auf und griff sich den Kasten Jever Pilsener.
Ewald Schäperklaus ließ seine hundertzwanzig Kilo in einen abgewetzten Fernsehsessel neben einem zusätzlichen Couchtisch fallen, auf dem zwischen Porzellannippes und Bilderrahmen gerade noch Platz für einen Aschenbecher blieb. »Tu mir den Gefallen, schlepp uns aus der Küche zwei Gläser rüber.«
Auf Regalen und in den offenen Hängeschränken waren Lebensmittelpäckchen, Tüten und Geschirr geschichtet. Zwei Kühlschränke aufeinander, neben einen Gefrierschrank gestellt, brummten unaufhörlich. Schubladen quollen über von Küchenutensilien. Kartons stapelten sich an den Wänden. Auf der Spüle standen bunt gemischte Biergläser. Alles aus Kneipen verschleppte Beute. Addiksen hielt zwei Pilstulpen gegen das Licht. Sie glänzten sauber. Er trug sie rüber, räumte Krimskrams vom Wohnzimmertisch und öffnete zwei Flaschen mit dem Feuerzeug. Ein Kronkorken flog gegen die Scheibe im Schrank und blieb davor auf dem durchgelaufenen Teppichboden liegen.
»Schlepp die Korken in den Gelben Sack unter der
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