Teuflische Stiche
Heidelberg studiert und sein Studium abgebrochen, um sich irgendwo bei Aachen in sein Elternhaus zurückzuziehen. Leider musste ich den Artikel über ihn zurückstellen, weil es eine Einbruchserie gegeben hat, über die ich schreiben sollte. Mittlerweile scheint die Redaktion das Interesse verloren zu haben.«
Die Pommes auf Konnerts Teller wurden kalt.
»Wir haben in seiner Wohnung eine tote Frau gefunden, höchstwahrscheinlich vergewaltigt und an einer Pilzvergiftung gestorben.«
»Und du glaubst, er hat nichts damit zu tun?«
Alois kennt mich so gut, ging es Konnert durch den Kopf, dass er mich gleich durchschaut. Er schnitt von seinem in der Zwischenzeit lauwarmen Schnitzel ein Stück ab, steckte es aber nicht in den Mund. Versonnen betrachtete er es, als könnte es ihm eine Antwort auf die Frage geben, was dieser bettelnde Weltenbummler für ein Mensch sei. »Wo hast du mit ihm geredet?«
»Auf einer Parkbank im Eversten Holz.«
»Ist er gleich zum Interview bereit gewesen?«
»Zehn Prozent von meinem Honorar, mindestens aber hundert Euro, sollte mich das kosten. Zu zahlen nach der Veröffentlichung.«
»Er hat dir vertraut.«
»Das ist mein Berufskapital.«
»Für hundert Euro hat er doch noch mehr erzählt, als nur von seiner Weltreise. Bestimmt hast du auch nach seinen Motiven gefragt.«
»Sibelius Balthasar Freiherr von Eck ist sein Künstlername, und er betrachtet seinen Lebensstil als Kunstwerk. Mit bürgerlichem Namen heißt er Klaus Stelzig und ist der älteste Sohn der Familie. Sein kleiner Bruder ist vier Jahre jünger gewesen als er, aber schon als Kind an einer Virusinfektion in Angola gestorben. Dort ist sein Vater landwirtschaftlicher Entwicklungshelfer gewesen. Nach dem Tod seines Bruders ist die Familie nach Aachen zurückgekehrt und hat versucht, den Erbhof wieder in Gang zu bekommen. Das ist allerdings nicht gelungen, weil beide Eltern den Tod ihres Kindes nicht überwinden konnten und mit dem Trinken begonnen haben. In den Neunzigerjahren haben sie sich dann gemeinsam das Leben genommen. Ob das der Grund für den Studienabbruch gewesen ist, weiß ich nicht.«
»Pharmaziestudium? Das war es doch, oder?«, fragte Konnert nach.
Während Alois Weis ohne zu antworten weiter aß, fasste sich Konnert an die Nasenwurzel und sinnierte vor sich hin: »Virusinfektion in Angola … Pharmazie … Regenwald und Buschmänner … Pilzvergiftung …« Er schob seinen Teller zur Seite, ging zur Garderobe, um sich eine Pfeife zu holen.
»Rauchverbot in Gaststätten«, murmelte Alois Weis mit vollem Mund. Er unterdrückte einen kleinen Rülpser, um mit erhobenem Glas ein weiteres Pils zu bestellen.
Konnert ging denselben Weg zurück, den er gekommen war, ließ die Polizeiinspektion rechts liegen und suchte eine Bank auf dem Friedhof. Qualmend dachte er nach. Er begann an der Entscheidung zu zweifeln, dass der Freiherr Sibelius Balthasar von Eck nichts mit dem Tod der Renate Dreher zu tun hatte. Pharmaziestudium, Pilzvergiftung, die Tote in seiner Wohnung, sein Verschwinden – alles zusammen ein paar Verdachtsmomente zu viel gegen die vier Wörter »Ich war es nicht.«
***
Die schöne Gertrud hatte die Sonnenstrahlen am Wochenende überschätzt und war mit offenem Verdeck gefahren. Jetzt lag sie mit einer Erkältung unter zwei Wolldecken auf dem Sofa und ihre Schwester war gekommen, um sie zu pflegen. Doch deren Bemühungen führten zu ständigen Reibereien. Die schöne Gertrud wollte nicht bedauert und bemuttert werden, konnte Ursula aber nicht davon abhalten, heißen Holundersaft anzupreisen oder über den Leichtsinn zu dozieren, Ende März so zu tun, als sei Hochsommer.
Das Telefon im Flur läutete. Ursula nahm ab und meldete sich mit ihrem Namen. Am anderen Ende der Leitung blieb es still. Sie sagte »Hallo!«, bekam aber keine Antwort und legte verärgert auf.
Wenige Augenblicke später klingelte es erneut. Auch dieses Mal reagierte der Anrufer nicht auf den Namen Ursula Fittjen. Sie legte ungehalten auf. Beim dritten Läuten und wiederholtem Schweigen polterte sie los: »Verdammt noch mal, rede endlich oder lass uns in Ruhe!«
Einen Moment später fragte eine Männerstimme: »Ist das nicht der Anschluss von Gertrud Bulken?«
»Was wollen Sie?«
»Ich würde gern mit ihr sprechen, wenn es möglich ist.«
»Ist es aber nicht. Sie ist krank und darf nicht gestört werden.« Als sie keine Antwort bekam, legte sie erst den Hörer auf, um ihn dann neben den Telefonapparat zu
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