Teuflische Stiche
stiegen in ihm auf, ob er nicht zu alt für den Job geworden war. Und wieder stellte sich die Frage ein, ob er in seinem Alter zusätzlich den Erwartungen einer jungen Frau gerecht werden könne. Würde er sie nicht ständig enttäuschen, wie er seine Ehefrau und seine Kinder enttäuscht hatte. Zu oft war er vom Dienst gekommen und hatte nur in Ruhe auf der Terrasse sitzen wollen. Ihm war es zu selten gelungen, die Probleme und Fragen seiner Arbeit im Kommissariat zu lassen und auf dem Nachhauseweg auf die Familie und ihre Wünsche umzuschalten. War es richtig, sich auf eine intensive Beziehung mit Zahra einzulassen? Und was kam dann? Er erinnerte sich, dass er sich vorgenommen hatte, nicht so sehr aufs Äußere und die Umstände zu schauen. Sein Inneres sehnte sich nach Zahras Liebe. Durfte er dem nachgeben?
Unkonzentriert las er Berichte der Befragungen von Nachbarn des Freiherrn und überflog die Mitteilungen anderer Kommissariate. Zwischendurch schaute er aus dem Fenster oder beobachtete, wie Mitarbeiter im Großraumbüro ihre Computer abschalteten oder Akten wegschlossen. Dann räumte auch er seinen Schreibtisch auf, leerte den Aschenbecher, schaltete die Schreibtischlampe aus und ging zu Venske rüber. »Morgen nehme ich mir Zeit für ein Gespräch. Bernd, du weißt, ich trage mein Herz nicht auf der Zunge.«
***
In der Liegnitzer Straße, in Höhe der GEWOBA-Mietshäuser, entdeckte eine Streifenwagenbesatzung gegen 21.16 Uhr eine Person, auf die die Beschreibung von Sibelius von Eck passen könnte. Sie trug nur keinen Zylinder. Die Beamten versuchten zuerst, Konnert zu erreichen. Dessen Handy war ausgeschaltet. Venske erreichten sie sofort und übermittelten ihren Standort. Sie fuhren im Schritttempo an dem Freiherrn vorbei. Der ging mit großen Schritten weiter, ohne nach links oder rechts zu blicken. Im Rückspiegel sahen die Männer, dass er in die Görlitzer Straße einbog. Sie beschleunigten das Tempo und parkten den Wagen unter Bäumen vor dem Bahnübergang. »Nicht festnehmen, nur beschatten!«, erinnerte der Fahrer. Sie stiegen aus. Ein Beamter suchte Deckung hinter einer dicken Eiche bei der Einbiegung zum Stadionweg. Von dort konnte er die Siebenbürger Straße überblicken. Der andere wartete im Streifenwagen auf Venske.
Die Straßenbeleuchtung warf ausreichend Licht auf den Bürgersteig. Niemand war zu sehen. Die Polizisten übten sich in Geduld. Es vergingen fünf Minuten. Von Eck kam nicht. Die Bahnschranken senkten sich, und ein langer Güterzug passierte donnernd den Übergang.
Ein tornadoroter Golf GTI fuhr über die Siebenbürger Straße auf die Beamten zu. Venske stieg aus. »Auf der ganzen Strecke ist kein Fußgänger unterwegs. Wo ist von Eck?«
»Ich habe ihn nicht gesehen.« Der Beamte hinter dem Baum zog den Kopf zwischen die Schultern, als sei das Verschwinden der Zielperson seine Schuld.
»Habt ihr einen Stadtplan im Auto?«
Im Handschuhfach fand sich ein Exemplar. Im Schein einer Taschenlampe suchten sie nach möglichen Abzweigungen.
»Fahrt ihr die Görlitzer hoch. Ich nehme die Apenrader. Wenn wir ihn da nicht finden, kann er nur in einem Haus verschwunden sein, oder er hat sich durch einen Garten verdrückt.«
Sie gingen zu ihren Autos und fuhren die Straßen ab. Vom Freiherrn keine Spur. Am nächsten Treffpunkt schlugen sie wieder den Stadtplan auf. »Er wird über den Bahndamm zum Bürgerbusch geschlichen sein. Da treffen sich manchmal Obdachlose zum Saufen. Und es gibt dort Stellen, wo schon mal Penner in ihren Schlafsäcken übernachten.«
»Oder er ist hier über den Sportplatz zum Mittelweg abgebogen. In dem Gewirr von Einfamilienhäusern finden wir drei ihn niemals«, sagte der Streifenführer und faltete den Plan zusammen. »Der ist weg.«
»Mal langsam«, sagte Venske, »so schnell geben wir nicht auf. Ihr fahrt zum Bürgerbusch und sucht da. Von mir aus fordert Verstärkung an. Denkt daran, nicht verhaften. Konnert will wissen, wo er untergeschlüpft ist.«
»Und du?«
»Ich fahre die Straßen um den Mittelweg ab. Viel Erfolg, Kollegen.«
Venske drehte seinen Golf und schlich im Schneckentempo zurück. Sehr langsam suchte er in westlicher Richtung die Straßen ab. Als er beim Gelände des Kleingärtnervereins Stadtfeld auf den Parkplatz der Gaststätte fuhr, erinnerte er sich an ein Opfer der letzten Mordserie in Oldenburg. In einem Gartenhäuschen hatten seine Mörderinnen den Mann aufgeschreckt, entführt und grausam umgebracht. Sollte sich von Eck in
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