Teuflischer Sog
besitzt, wird sie ebenfalls einlösen wollen. Das wäre dann mit dem Sturm auf die Banken zu Beginn der Depression zu vergleichen.
Über diplomatische Kanäle haben wir ihnen mitgeteilt, dass, wenn sie die Schulden einfordern, wir im Gegenzug die Einfuhrzölle derart erhöhen, dass niemand mehr ihre Waren kaufen will. Genau genommen haben sie uns herausgefordert. Ihnen ist es gleich, ob ihr Volk arbeitslos wird und verhungert. Wenn es um wirtschaftliche Zermürbung geht, können sie uns jederzeit fertigmachen. Wir haben uns selbst in eine ausweglose Situation outgesourct und gepumpt, und jetzt müssen wir den Preis dafür bezahlen.«
»Sie haben von einem offenen Angriffsakt gesprochen?«
»Offen. Verdeckt. Es tut nichts zur Sache. Sie haben uns an der Gurgel. Ende der Geschichte. Der Präsident hat befohlen, dass sämtliche amerikanischen Kriegsschiffe im Atlantik oberhalb des Äquators bleiben, und er ruft jedes unserer Jagd-U-Boote zurück, um den Chinesen zu zeigen, dass wir uns nicht in das einmischen, was sie und die Argentinier in Gang gesetzt haben. Ab heute haben die Vereinigten Staaten den Status als Supermacht an die Chinesen abgetreten.«
Aus dem Mund eines Mannes, der eine bedeutende Rolle dabei gespielt hatte, als die Bemühungen der Sowjetunion um die Weltherrschaft zu Ende gingen, klangen diese letzten Worte besonders schmerzlich. Juan wusste nicht, was er dazu sagen sollte, und hatte in diesem Moment nicht einmal die geringste Vorstellung, was er tun konnte.
Richtig wäre es, bei seinem Plan zu bleiben und die Dinge laufen zu lassen. Er musste jedoch auch in Erwägung ziehen, was mit den Menschen in seiner Heimat geschähe. Was Overholt beschrieb, ließ die Große Depression wie eine Zeit des Wirtschaftsaufschwungs erscheinen – sechzig oder siebzig Prozent Arbeitslosigkeit, Hunger und die Gewalt, die diese Verhältnisse unweigerlich nach sich zogen, der Zusammenbruch jeglicher gesetzlichen Ordnung. Im Grunde wäre es das Ende der Vereinigten Staaten.
Schließlich überwand er seine Sprachlosigkeit. »Also, du brauchst dir wegen uns keine Sorgen zu machen. Wie ich schon sagte, wir sind unterwegs nach Südafrika.«
»Das freut mich zu hören«, sagte Langston müde. »Weißt du, Juan, wir kommen aus dieser Geschichte vielleicht doch nicht so glatt heraus.«
»Was meinst du?«
»Die Chinesen können wir vielleicht noch beschwichtigen, aber Nordkorea verlangt, dass wir, wenn wir keine militärische Konfrontation riskieren wollen, einen Teil unserer Soldaten abziehen, die wir in Südkorea stationiert haben. Und gestern Nacht ging eine kleine Bombe in der Nähe des Präsidentenpalastes in Caracas hoch. Die Venezueler behaupten, es sei ein Attentat der kolumbianischen Special Forces gewesen. Sie haben Rache geschworen, und auf Satellitenbildern ist zu erkennen, dass sie Truppen an die Grenze verlegen. Interessanterweise haben sie damit aber schon vor zwei Tagen begonnen.«
»Was den Verdacht nahelegt, dass sie die Bombe selbst gelegt haben, um einen Vorwand zu schaffen.«
»Das denke ich auch, aber es ist eigentlich egal. China hat in Venezuela großzügig investiert, daher kannst du dir sicherlich vorstellen, wie wir reagieren werden, wenn sie in Kolumbien einmarschieren.«
»Ihr dreht die Daumen?«
»Sogar das könnte als Provokation verstanden werden«, sagte Overholt mit einem Anflug von Galgenhumor. »Wahrscheinlich stecken wir stattdessen die Hände in die Taschen. Hör mal, ich habe heute Morgen eine ganze Latte von Besprechungen. Wir reden später über die neuen Entwicklungen, ja? Bestell dem Emir von Kuwait meine besten Grüße, falls wir uns nicht mehr sprechen, ehe du dort ankommst.«
»Das tu ich gern«, versprach Juan.
Er legte das Headset zurück und stieß die Decken von sich. Der Fußboden war so kalt wie ein Eishockeyfeld und unter Juans Wollsocken mindestens genauso glatt. Er war sich nicht sicher, wer der bessere Spieler war. Er, indem er Overholt belog, oder Overholt, indem er ihn zu manipulieren versuchte. Der CIA-Veteran glaubte vielleicht, dass die Oregon Kapstadt anlief, aber er hatte Juan von Nordkorea und Venezuela erzählt, um ihn zum Umkehren zu bewegen.
»Tu das Richtige«, hatte Juans Vater immer gesagt. »Dann kommst du mit den Konsequenzen besser klar, ganz gleich was du denkst.«
Er zog sich schnell an und begab sich ins Operationszentrum, wo schon eine Tasse Kaffee aus einem silbernen Kaffeespender, der auf einem der hinteren Tische stand, auf ihn
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