Teuflischer Sog
diskutiert, und eine Anfrage schickte man an das National Reconnaissance Office, man möge doch einen Satelliten umleiten, um die isolierte Forschungsstation zu fotografieren.
Bis zum Morgen waren die Bilder analysiert worden, doch selbst die hochempfindlichen Optiken der Kameras wurden von dem Sturm beeinträchtigt, der den halben Kontinent in seinem eisigen Griff hatte.
Und dann, wie bei allen Bürokratien, erlahmte an diesem Punkt die Effizienz. Niemand wusste, was als Nächstes zu tun war. Alle Informationen, die man hatte sammeln können, waren eingehend studiert worden. Eine Entscheidung schien dringend nötig zu sein, aber es gab niemanden, der bereit war, sie zu treffen. Die anfänglich hektische Aktivität kam zu einem abrupten Ende, und die Beteiligten entschieden sich für eine Abwartehaltung.
Als Langston Overholt um kurz nach neun in Langley eintraf, ließ er sich von seiner Sekretärin eine Tasse Kaffee geben, die sie schon bereitgestellt hatte, und begab sich in sein privates Büro. Der Blick durch das kugelsichere Fenster fiel auf eine Baumgruppe in der vollen Pracht ihrer Blätter. Der Wind spielte mit den Ästen und sorgte für fraktale Schatten auf dem Rasen.
Sein Büro war spartanisch eingerichtet. Im Gegensatz zu anderen älteren Beamten in der CIA hatte Overholt keine Ego-Wand – eine Kollektion von Fotos von ihm selbst und verschiedenen hohen Würdenträgern. Er hatte es nie für nötig befunden, anderen Leuten seine Wichtigkeit zu demonstrieren. Aber bei seinem legendären Ruf war das auch nicht nötig. Jeder, der ihn hier im siebten Stock besuchte, wusste ganz genau, wer er war. Und während viele seiner Erfolge streng geheim blieben, war doch im Laufe der Jahre mehr als genug durchgesickert, um seinen Status innerhalb der Agency zu festigen. Nur wenige Fotos hingen an der Wand, vorwiegend Porträts, die während der Ferien gemacht worden waren, als seine Familie langsam gewachsen war, sowie ein sepiafarbener Schnappschuss von ihm und einem jungen Asiaten. Nur ein Experte würde erkennen, dass es sich dabei um den Dalai Lama handelte.
»Na ja, vielleicht doch ein wenig Ego«, sagte er, als er das Bild betrachtete.
Overholt las den Lagebericht, der an alle leitenden Stabsangehörigen verteilt wurde. Es war eine weitaus detailliertere Version als die, welche dem Präsidenten zugeleitet wurde, der in seiner Administration schon früh klargemacht hatte, dass er keine Lust habe, sich mit Details herumzuschlagen.
Es waren die üblichen Neuigkeiten aus aller Welt – ein Bombenattentat im Irak, ermordete Ölarbeiter in Nigeria, nordkoreanisches militärisches Muskelspiel entlang der EMZ. Dem Vorfall in der Wilson/George Station war ein Absatz auf der vorletzten Seite gewidmet, direkt unter der Meldung von der Verhaftung eines serbischen Kriegsverbrechers. Hätten die Vorfälle in einer anderen antarktischen Basis stattgefunden, hätte er gar nicht weiter darüber nachgedacht. Aber aus dem Bericht ging hervor, dass die Argentinier eine Einrichtung nur knapp fünfzig Kilometer entfernt unterhielten, und ihre kurzangebundene Weigerung, ein Team loszuschicken, um der Angelegenheit auf den Grund zu gehen, brachte Overholts sechsten Sinn auf Hochtouren. Er forderte die Videoaufnahme von Dr. Parkers Webcam an.
Er wusste sofort, was getan werden musste.
Er setzte sich mit dem Direktor der südamerikanischen Abteilung in Verbindung und erfuhr, dass Cabrillo am vorangegangenen Abend in Asunción eingetroffen war, die Energiezelle zwei Kurieren der Agency übergeben hatte und sich jetzt in einem Charterflugzeug mit Kurs auf die kalifornische Küste befand.
Overholt beendete das Gespräch und wählte eine Nummer in Houston, um mit Dr. Parker zu sprechen. Danach rief er eine überseeische Telefonvermittlung an.
10
Nach fast einer Stunde unter der Dusche und einem Frühstück aus Eiern, Toast und Kräutertee – Maurice, der Schiffssteward, weigerte sich, Cabrillo etwas Koffeinhaltiges zu servieren – war Juan noch immer nicht zur Ruhe gekommen. Er hätte eigentlich zu Bett gehen sollen, aber seine Daunendecke konnte ihn nicht locken. Er wusste, dass er so leicht keinen Schlaf finden würde. Nach einer kurzen ärztlichen Untersuchung hatte ihm Dr. Huxley ein leichtes Beruhigungsmittel empfohlen, doch er hatte abgelehnt. Zwar bestrafte er sich nicht für Jerrys Tod, doch irgendwie erschien ihm ein chemisch induziertes Vergessen für das Andenken seines Freundes nicht fair zu sein. Wenn ihn die
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