Teuflischer Sog
zersplittert. Ein anderer sah aus, als wäre er mit einer großkalibrigen Pistole erschossen worden, obgleich versichert worden war, dass in der Forschungsbasis keinerlei Schusswaffen existierten. Eigentlich gab es auf dem gesamten Kontinent keine Schusswaffen.
»Jemand fehlt«, stellte Linda fest. »Wilson/George hatte eine Winterbesatzung von vierzehn Personen.«
»Das muss unser Killer sein«, sagte Mark.
»Ich sehe mal im Fahrzeugschuppen nach«, sagte Linc. »Wie viele Schneekatzen müssten dort stehen?«
»Zwei – und zwei Schneemobile.«
Ein paar Minuten später – Linda durchsuchte soeben eine Schreibtischschublade – rief Mark aus einem der anderen Module nach ihr. Seine Stimme ließ sie zusammenzucken. Zu sagen, dass ihr die Forschungsstation und ihre grausigen Insassen Angst einjagten, war eine gelinde Untertreibung. Die Haare auf ihren Armen waren nach wie vor gesträubt. Sie fand ihn in einem der kleineren Aufenthaltsräume für die Mannschaft, wo er seine Lampe auf weitere blutige Schmierspuren an der Wand gerichtet hatte. Es dauerte eine Weile, bis sie erkannte, dass die Linien eine gewisse Ordnung aufwiesen. Es war eine Inschrift.
»Was heißt das?«
Mark las laut vor: »Zweiter Prinz wird Nicole retournieren.«
»Wollte damit jemand andeuten, dass sich hier irgendein Adliger aufgehalten hat?«
»Das glaube ich einfach nicht«, sagte Mark geistesabwesend.
»Es ergibt auch keinen Sinn. Niemand hier in der Station heißt Nicole. Ich habe mir die Personalliste angesehen.«
Murph sagte nichts darauf. Seine Lippen bewegten sich stumm, während er den bizarren Satz wieder und wieder las.
»Was denkst du?«, fragte Linda, während sich die Sekunden zu einer Minute ausdehnten.
»Wessen Zimmer war das?«
»Das weiß ich nicht.« Sie schauten sich um und fanden ein Buch mit der Aufschrift Eigentum von Andrew Gangle auf dem Deckblatt.
»Wer war er?«
»Ich glaube, ein Techniker. Ein Doktorand, wenn ich mich recht erinnere.«
»Er ist auch unser Mörder und hat seine Taten gestanden, bevor er sie beging. Außerdem war er sehr krank.«
»Was du nicht sagst. Hallo? Dreizehn aufgeschlitzte Leichen. Er war ganz sicher krank.«
»Ich meine aber richtig krank. Er hatte Aphasie.«
»Was ist das?«
»Eine Sprachstörung, auf Grund derer sich der Betroffene sprachlich nicht mehr richtig ausdrücken kann. Sie wird gewöhnlich durch einen Schlaganfall oder eine Hirnverletzung ausgelöst, oder sie kann auch als Folge eines Tumors oder in Verbindung mit Parkinson oder Alzheimer auftreten.«
»Und wie bist du darauf gekommen?«
»Am MIT hab ich damals des Öfteren mit Doktoranden der Neurowissenschaft ein Spiel gespielt. Wir dachten uns Sätze aus, als litten wir unter Aphasie, die dann von den anderen entschlüsselt werden mussten.«
»Oh – du hattest wohl damals nicht gerade viele Dates, oder?«
Mark ignorierte ihren Seitenhieb. »Meistens mussten wir einen Hinweis geben, wie zum Beispiel ein Wort über das Thema des Satzes, sonst wäre es unmöglich gewesen, ihn zu verstehen. Hier waren die Morde der Hinweis, klar?«
»Sicher, aber was hat ›Zweiter Prinz wird Nicole retournieren‹ mit Mord zu tun?«
»Sieh dir das Wort ›retournieren‹ an. Was kann es heißen?«
»Na was schon – zurückgeben, zurückschicken, irgendetwas mit zurück, na und?«
»Zum Beispiel auch zurückbringen oder – umbringen«, sagte Mark, während seine Augen triumphierend blitzten. Als jemand, der stets die intelligenteste Person im Raum war, machte es ihm nach wie vor Spaß, seinen Intellekt zu demonstrieren. »In Gangles Gehirn müssen die beiden Wörter – ›umbringen‹ und ›retournieren‹ – Synonyme gewesen sein.«
»Dann suchen wir also irgendeinen Adligen, wenn ich richtig verstehe?«
»Nein. So funktioniert Aphasie nicht. Im Gehirn sind die Verbindungen in Unordnung geraten: Es können Wörter sein, die ähnlich klingen, oder Wörter, die Objekte meinen, die zusammenpassen, oder Wörter, die Gangle an irgendetwas in seiner Vergangenheit erinnert haben.«
»Oh – und was soll das dann mit dem zweiten Prinzen?«
»Das kann ich dir erklären. Gangle wollte schreiben: ›Ich werde‹, aber da hat sein Gehirn nicht mitgespielt. Also hat er ›Andrew‹ schreiben wollen. Aber auch das schien nicht zu klappen. Daher hat er sich geholfen und nach einem Ersatz gesucht. Und das war Prinz Andrew, der zweite Prinz des englischen Königshauses. Wer weiß, wo er davon gehört oder darüber gelesen hat.
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