Teuflischer Sog
anderthalb Kilometer landeinwärts.«
Sie hatten die Möglichkeiten bis zum Geht-nicht-mehr durchgespielt und würden sich der Station nähern, als wäre sie von feindlichen Streitkräften besetzt worden. Sie brauchten etwa eine Stunde, um sich anzuschleichen. Dann fanden sie eine niedrige Erhöhung, von wo aus sie die Station durch Ferngläser studieren konnten.
Das futuristische Bauwerk mit seinen Kuppen und Verbindungsröhren wirkte verlassen. Das Brummen eines Generators hätte bis zu ihnen dringen müssen, aber alles, was sie hörten, war das Pfeifen des Windes und das gelegentliche Schlagen einer Tür, die in ihren Angeln hin und her pendelte. Es war der Personaleingang zum angrenzenden Garagengebäude, mit dem der Wind spielte. Die Fenster der Station waren allesamt dunkel.
Ein Frösteln lief Linda über den Rücken, das nichts mit dem Wetter zu tun hatte. Durch die grüne Optik ihres Nachtglases erschien Wilson/George unheimlicher als alles, was sie je zuvor gesehen hatte. Windgepeitschte Schneeflocken fügten sich zu den schemenhaften Umrissen von erdgebundenen Geistern zusammen, um an diesem Ort ihr Unwesen zu treiben.
»Was denkt ihr?«, fragte Linda, um sich aus ihren düsteren Visionen zu reißen.
Mark wandte sich ihr zu. »Vor zwei Tagen glaubte ich noch, auf dem Set von Apocalypse Now zu sein. Jetzt habe ich eher das Gefühl, als stünde ich vor der Basis von The Thing. «
»Interessante Beobachtung, aber das ist nicht das, was ich meinte.«
»Ich würde sagen, es ist niemand zu Haus«, sagte Linc.
»Das sieht mir auch so aus.« Linda steckte das Fernglas in ihre Tasche zurück. »Los, starten wir, aber seid wachsam.«
Ihre arktische Kleidung hielt die Kälte zwar wirkungsvoll ab, doch sie konnte nichts gegen den Klumpen in ihrem Magen tun. Die bange Vorahnung wuchs mit jedem langsamen Schritt, mit dem sie sich der Station näherten. Etwas Schlimmes war hier geschehen, das fühlte sie, etwas Entsetzliches.
Um die Basis herum waren keine Spuren zu sehen, was darauf schließen ließ, dass sich hier seit dem Sturm nichts bewegt hatte, wobei es durchaus möglich war, dass jemand kurz vorher oder sogar während des Sturms hier gewesen war. Linc stieg die Treppe zum Eingang hinauf, sein Sturmgewehr schussbereit im Anschlag. Mark ging neben ihm in Position, und Linda legte die Hand auf den Türgriff. Die Tür schwang auf und gestattete den Blick in einen dämmrigen Vorraum. Die Haupteingangstür in die Anlage stand sperrangelweit offen, so dass sich auch der letzte Wärmerest, der von der dicken Isolationsschicht der Station zurückgehalten werden konnte, längst verflüchtigt hatte. Es bestand keine Hoffnung, dass einer der Wissenschaftler diese lange Zeit der Ungeschütztheit überlebt hatte.
Linda bedeutete Linc mit einigen Gesten voranzugehen. Der ehemalige SEAL nickte und warf einen Blick durch die Tür der Station. Er wich ein Stück zurück, dann wandte er sich um.
Mit den Lippen formte er lautlos die Worte: Das ist nicht gut.
Linda kam zu ihm und sah selbst nach. Der Raum war ein Schlachtfeld. Kleidung lag auf dem Fußboden verstreut herum. Spinde waren geleert und umgekippt worden. Eine Bank, auf der früher Angehörige der Station gesessen und ihre Stiefel aus- oder angezogen haben mochten, war auf etwas geschleudert worden, von dem sie die Augen nicht abwenden konnte. Es war der Körper einer Frau, von der Kälte bläulich angelaufen. Sie trug eine Todesmaske aus Raureif, winzige Eisnadeln, die an ihrer Haut klebten und ihre Augen milchig erscheinen ließen. Schlimmer schien noch die Pfütze steinhart gefrorenen Blutes unter ihr. Ihre Brust war eingedrückt, Schmierstreifen und Spritzer bedeckten die Wände.
»Ein Schuss?«, flüsterte Linda, nachdem sie ihre Schutzmaske abgenommen hatte.
»Ein Messer«, knurrte Linc.
»Wer?«
»Keine Ahnung.« Er leuchtete mit seiner Waffenlampe in den Raum und überprüfte jeden Quadratzentimeter, bevor er eintrat. Linda und Mark folgten ihm.
Es dauerte zehn spannungsgeladene Minuten, um die Bestätigung zu erhalten, dass jeder in der Station tot war. Insgesamt gab es dreizehn Leichen. Alle wiesen ähnliche Anzeichen eines grässlichen Todes auf. Die meisten waren erstochen worden und lagen in gefrorenen Blutpfützen. Einige zeigten Spuren stumpfer Gewalteinwirkung, als hätte sie jemand mit einem Baseballschläger bearbeitet. Einer der Toten hatte abwehrtypische Armbrüche erlitten – er musste um sein Leben gekämpft haben. Die Knochen waren
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