Texas
Silberbergwerk beschäftigt gewesen war. Da die Garzas fünf Söhne, aber nur zwanzig Maultiere gehabt hatten, war Simon, der Jüngste, zu spät gekommen, um noch Tiere zu erben. Statt dessen ging er bei einem Zimmermann in die Lehre. Später stellten ihn die Franziskaner an.
Bisher hatte Geldmangel ihn daran gehindert, den jungen Mädchen in den verschiedenen Städten, wo er arbeitete, den Hof zu machen, aber in Zacatecas hatte er eine feste Beschäftigung, und so kam es, daß er sich Abend für Abend nach der Arbeit auf dem großen Platz vor der Kathedrale einfand und den unverheirateten jungen Mädchen aus guter
Familie nachsah, die dort zwischen sieben und neun Uhr spazierengingen.
Sie taten das nicht ohne Zweck und Ziel. Die Männer schlenderten entgegen dem Uhrzeigersinn an der Außenseite des Platzes entlang und blickten dabei stets auf die Mitte der Plaza, wo die unverheirateten Mädchen innerhalb eines großen Kreises im Uhrzeigersinn dahinschritten. Etwa alle zehn Minuten stieß ein junger Mann fast frontal mit einer bestimmten jungen Frau zusammen, und auf diese altehrwürdige, dem spanischen Brauch entsprechende Weise betrieben die jungen Herren ihre Werbung.
Die Regeln des Paseos, wie man diese Promenade nannte, wurden strikt eingehalten. Mädchen mit heller Hautfarbe gingen im Kreis, während ihre spanischen Mütter sie vor jeder Annäherung eines Mannes von geringerem Stand schützten; sie waren die Elite von Zacatecas, die Peninsulares, in Spanien geboren, die ständig davon träumten, in dieses herrliche Land zurückkehren zu können. Einen fast ebenso hohen Rang nahmen die Kreolinnen ein, Mädchen rein spanischen Blutes, aber in Mexico geboren. Sie waren sich ihres Erbes noch stärker bewußt, denn sie ahnten, daß sie aus finanziellen Gründen nur geringe Chancen hatten, jemals nach Spanien zu kommen. Diese Familien lebten isoliert von Spanien, ganz besonders dann, wenn es sie in eine abgelegene Stadt wie Zacatecas verschlagen hatte, aber sie empfanden sich als die Erben und Bewahrer der spanischen Kultur.
Den Indianern war es streng verboten, am Paseo teilzunehmen. Einige wenige Mestizenmädchen durften mit dabeisein, aber nur als Dienerinnen, die ein gutes Stück hinter ihren weißen Herrinnen gehen mußten. Männliche Mestizen waren ausgeschlossen, aber wohlerzogene junge Burschen mit guten Manieren wie Simon Garza durften am Rand stehen und zuschauen.
Aber wenn am Sonntagabend die Sonne unterging, hatten die Mestizen von Zacatecas ihren eigenen Paseo auf einer nahegelegenen Plaza, und hier paradierten junge Menschen von besonderem Reiz. Mädchen mit pechschwarzen Zöpfen und zart olivfarbenem Teint lächelten jungen Männern in frischgewaschenen Hosen und weißen Hemden zu. Dieser ländliche Paseo war meist farbenfroher als der der Spanier.
Man sollte meinen, daß Simon Garza, der sich ja nach einer Frau sehnte, beherzt an diesem Werberitual teilnahm, aber das tat er nicht. Der schüchterne Zimmermann ging jeden Sonntagabend zu dem kleinen Platz, aber er wagte es nicht, selbst an dem Paseo teilzunehmen.
An einem Donnerstagabend des Jahres 1719 kehrte Garza nach der Arbeit in sein kleines Zimmer zurück. Als er die nackten Wände sah, überwältigte ihn die Einsamkeit: »O Gott! Ich muß etwas tun!« Er befeuchtete sein Gesicht mit Wasser, um das Sägemehl abzuwaschen, nahm sich hastig ein Stück Brot und etwas Käse und lief zur großen Plaza, wo die jungen Männer, ausschließlich Spanier und Kreolen, ihren Paseo entgegen dem Uhrzeigersinn bereits begonnen hatten. Simon suchte sich einen Platz, von dem aus er die entgegenkommenden Mädchen betrachten konnte.
Während der ersten drei Rundgänge gewann Simon nur oberflächliche Eindrücke von den Frauen, die vorbeikamen, doch beim vierten Rundgang ertappte er sich dabei, wie er eine Mestizin anstarrte, die gesittet hinter ihrer Herrin ging. Sie war etwas älter und ein wenig größer als die meisten anderen. Ihr freundliches Lächeln gefiel ihm.
Sie hieß Juana Muñoz und war die Tochter eines Bauern. Wie viele andere Mädchen ihrer Herkunft hatte sie in verschiedenen großen Häusern Zacatecas’ als Dienstmädchen, Köchin und Kindermädchen gearbeitet. Jetzt wurde ihr langsam bewußt, daß sie mit dreiundzwanzig einem Alter gefährlich nahe war, wo ihre Chancen auf einen Ehemann sich dramatisch verringern würden. Als sie merkte, daß der Zimmermann von der Franziskanerschule sie anstarrte, wartete sie den Moment ab, in dem sie an
Weitere Kostenlose Bücher