Thanatos
berühren er ihr größtenteils verboten hatte. Was vermutlich gut war, da sie Gefühle aus Tinte herausspüren konnte … und Thanatos’ Tattoos waren pure, auf die Haut übertragene Emotion.
Vielleicht … vielleicht konnte sie auf diese Weise damit beginnen, die Dinge zwischen ihnen wieder in Ordnung zu bringen; ihm zeigen, dass ihr etwas an ihm lag, schon seit der Zeit vor jener grauenhaften Nacht, wenn er ihre Gefühle auch nicht erwiderte. Wenn sie nur mehr über ihn erfahren könnte, herausfinden könnte, was er wollte und brauchte …
Zögernd legte sie die Fingerspitze auf den Umriss eines von Flammen umloderten Totenschädels über seinem rechten Brustmuskel. Augenblicklich spürte sie die Hitze an ihrer Hand emporkriechen, und als sie sich ihrer Gabe öffnete, wurde ihr Gehirn von Bildern überschwemmt. Thanatos, der schreckliche Schmerzen litt, als feurige Pfeile seinen Panzer durchschlugen und in seinen Körper eindrangen. Dämonen kamen von einer offenen, grasigen Ebene auf ihn zugestürmt, sie war blutgetränkt und mit menschlichen und Dämonenleichen übersät. Thanatos’ Gedanken rasten durch sie hindurch … seine unvorstellbaren Qualen, seine Wut, als er die Klinge schwang, sein Bedauern, alle Seelen aus seinem Panzer herausgelassen zu haben, sodass er jetzt keine Verteidigung gegen die Feuerpfeile hatte.
Sie schreckte mit brennender Haut zurück, als würde sie selbst erleiden, was er durchgemacht hatte. Sie war immer davon ausgegangen, dass er gegenüber Verletzungen und Schmerz immun sei – aber er hatte erfahren, wie es sich anfühlte, wenn einem das Fleisch bis auf den Knochen verbrannte, und sein Leid war echt gewesen.
»Oh, Thanatos«, flüsterte sie. »Es tut mir so schrecklich leid.«
Ihre Hand zitterte, als sie sie zu seinem linken Brustmuskel bewegte und mit den Fingerspitzen federleicht über die erlesene Zeichnung eines Höllenhunds fuhr. Sofort drang giftiges Knurren an ihr Ohr, und rasiermesserscharfe Zähne schnappten nach ihrem Gesicht, als wäre sie mitten in einem Film gelandet. Thanatos befand sich in einer dunklen Höhle, von einem Rudel Höllenhunden umzingelt. Seine Seelen hatten schon ein Dutzend von ihnen getötet; ein weiteres Dutzend, das seinem massiven Schwert zum Opfer gefallen war, lag in Stücke gehauen auf der Erde. Hinter ihm bildete ein Berg aus Knochen und Leichen eine groteske Fütterungsstelle. Regan drehte sich der Magen um.
Obwohl sie am ganzen Körper erschauerte, wappnete sie sich, um die Spitze des Schwerts von keltischem Aussehen auf seinem Brustbein zu berühren. Eiszapfen hingen von ihm herab. Ein schwaches Vibrieren ließ ihre Haut flimmern, und eisige Kälte kroch ihr in die Knochen. Eine nackte Winterlandschaft öffnete sich vor ihr, und Wut … so viel Wut brauste durch ihre Adern. In der Ferne erhob sich ein bizarrer Wald aus dem Eis. Was für Bäume waren das bloß? Sie kniff die Augen zusammen. Als sie die Wahrheit erkannte, stieg ihr bittere Galle in den Mund. Es waren keine Bäume. Es waren riesige Holzpfähle, und auf jeden war ein Körper aufgespießt. Guter Gott, Hunderte, nein, Tausende Männer, Frauen und Kinder waren dort gepfählt worden.
Zwischen den Pfählen lagen noch weitere Tote; Soldaten, die in Stücke gehackt und in ihrem Blut liegen gelassen worden waren.
»Du bist zu weit gegangen, Thanatos. Viel zu weit.« Gethel stand in der Nähe und blickte mit traurigen Augen von Thanatos zu dem Wald aus Toten.
Doch Thanatos war völlig von Sinnen. Mit lautem Brüllen warf er sich auf den Engel; sein blutiges Schwert blitzte in den Sonnenstrahlen auf, denen es gelungen war, die Wolkendecke zu durchbrechen. Gethel blitzte sich in einem Flackern goldenen Lichts davon, aber hinter ihm erklang jetzt eine neue Stimme. Er wirbelte herum und versenkte seine Klinge im Bauch einer Frau, von der Regan geschworen hätte, dass sie vor einem Moment noch nicht da gewesen war.
Der weibliche Dämon keuchte, ihre blauen Lippen und die frostweiße Haut wurden sogar noch bleicher. Regan kannte ihre Spezies nicht, aber sie war definitiv ein Dämon.
Eine silberne Träne tropfte aus einem graublauen Auge, während sie Thanatos fassungslos ansah. »Than …«
Er stieß ein weiteres wütendes Gebrüll aus. Mit einer einzigen kraftvollen Bewegung riss er ihr das Schwert aus dem Leib, schwang es in einem gewaltigen Bogen und hieb ihr den Kopf ab.
Thanatos stand schweigend da und starrte auf die tote Dämonin, während sich ihr Körper auflöste, so
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