Thanatos
wie es die meisten von ihnen taten, wenn sie im Menschenreich starben.
Und dann, als Thanatos’ mörderische Wut dahinschmolz, drang ihm ins Bewusstsein, was er getan hatte. Grauen trat an die Stelle der Wut. Kummer und Schmerz drückten Regan das Herz zusammen, als seine Gefühle die ihren wurden. Die Dämonin war seine Freundin gewesen. In seinem von Zorn vernebelten Zustand hatte er seine Freundin getötet.
Tränen brannten in Regans Augen. Sie zog sich von Than zurück, unfähig, noch mehr zu ertragen. Kälte umhüllte sie wie eine eisige Decke, und sie zog sich ans Feuer zurück, dankbar, dass die Diener dafür gesorgt hatten, dass es die Nacht über am Brennen gehalten wurde.
»Hast du alles gesehen, was du sehen wolltest?« Sie schloss die Augen, als seine leise Stimme an ihr Ohr drang. Sie hätte wissen müssen, dass er nicht schlief. »Hat es dir gefallen,
noch einmal
mein Recht auf Privatsphäre zu übertreten?«
Sie wirbelte herum. »Was? Ich habe doch nicht –«
»Du hast ohne Erlaubnis in meiner Vergangenheit gestöbert. Du hast etwas genommen, ohne zu fragen. Aber das ist wohl eine Angewohnheit von dir, oder?«
Oh Gott, an so etwas hatte sie gar nicht gedacht. Wenn jemand in ihre Gedanken und Erinnerungen eingedrungen wäre und dasselbe getan hätte, wäre sie fuchsteufelswild geworden. »Warum hast du mich nicht aufgehalten?«
»Es scheint nicht zu funktionieren, dir etwas zu verbieten.«
»Es tut mir leid«, sagte sie, auch wenn sie wusste, dass er ihre Worte für hohl und leer hielt. »Ich wollte doch nur …«
»Du denkst von mir nicht als Person.«
»Nein –« Sie brach ab, denn ja, genau das war es. Natürlich wusste sie, dass er eine lebende, atmende Person mit Gefühlen war, nur war er ihr immer überlebensgroß und zu mächtig erschienen, als dass ihn irgendetwas hätte behelligen können. Ehe sie sich noch tiefer hineinritt, drehte sie sich wieder zum Feuer um. »Wer war sie?«
»Rowlari. Sie war tausend Jahre lang meine beste Freundin. Ich hatte sie immer gewarnt, mir fernzubleiben, wenn der Tod mich überwältigte, aber sie glaubte, ich könne ihr niemals etwas antun.«
»Und diese Leute … hast du …« Sie konnte nicht weitersprechen.
»Was glaubst du?«
Sie konzentrierte sich auf sein Gesicht, suchte in der harten Linie seines Kinns, dem ernsten Ausdruck seines Munds und der schattigen Dunkelheit seiner Augen nach Hinweisen, aber nichts in seiner Miene lieferte ihr eine Antwort.
»Ehrlich, ich weiß nicht, was ich denken soll.«
Ihr Magen knurrte, und zugleich trat das Baby wieder zu und erinnerte sie daran, dass es für sie beide an der Zeit war zu essen, obwohl sie inzwischen keinen Hunger mehr verspürte. Die Dinge, die Thanatos durchgemacht hatte – einiges davon nur ihretwegen –, hatten sie zu der Überzeugung gebracht, dass sie jetzt wenig Geschmack an irgendetwas finden würde.
Als er nichts sagte, kehrte ihre Erinnerung zu den Schrecken zurück, die sie durch seine Tattoos miterlebt hatte. »Wie kannst du nur damit leben? Mit allem, was du gesehen hast? Wie ist es möglich, dass du nicht längst den Verstand verloren hast?«
»Ich lese viel.« Er hielt das Buch hoch, das auf seiner Brust gelegen hatte. »Das hält mein Gehirn beschäftigt. Und wenn ich nicht lese, suche ich nach noch mehr alten Büchern.«
»Wie?«
Seine langen, schmalen Finger strichen über den Buchrücken. Es war vermutlich erbärmlich, dass sie das dumme Ding beneidete. »Ich suche Erde und Sheoul nach allem ab, was auf Lilith und Yenrieth verweist.« Behutsam legte er das Buch auf den kleinen Tisch neben dem Stuhl. »Dies ist das zweite Buch einer dreiteiligen Chronik eines Sukkubus, der behauptet, Liliths Schwester zu sein. Das dritte fehlt mir noch. Ich suche schon seit Jahrhunderten danach. Siehst du? Ich bin immer beschäftigt. Genau wie du arbeite ich praktisch pausenlos.«
Seltsam, dass sie beide ihre Zeit damit zu füllen schienen, Dämonen zu verfolgen. Wenn sie zurzeit auch nicht in der Lage war, auf Dämonenjagd zu gehen, gab es doch vielleicht etwas, das sie für ihn tun könnte. Sie würde Kynan anrufen.
»Dann hält dich das Lesen und die Büchersuche also bei Verstand? Nach allem, was du gesehen hast?«
Als sich seine Hände auf ihre Schultern legten, schrak sie zusammen. Wie hatte er sich nur so rasch und so still bewegen können? Sie stand da, als wäre sie am Boden festgefroren; ein Zittern der Angst ließ ihre Muskeln beben. Sie glaubte nicht, dass er ihr wehtun
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