Thanatos
sicherzustellen, dass es das Beste für ihn wäre, bei
mir
zu bleiben.« Sie erhob sich und wandte sich rasch ab, doch nicht ehe Regan das verräterische Glitzern ungeweinter Tränen in Limos violetten Augen gesehen hatte. »Ich muss jetzt Ratten jagen. Oder was auch immer für gruselige Viecher die Festung ausspionieren. Ähm … bis dann.«
Limos rannte praktisch zur Tür hinaus und ließ Regan allein zurück, die inzwischen selbst mit den Tränen kämpfte. In ihrem Brustkorb machte sich eine erstickende Schwere breit. Könnte sie dafür sorgen, dass es das Beste wäre, das Baby zu behalten? Wenn Pestilence erst einmal fort und das Leben des Kindes nicht mehr bedroht war, könnte Regan ihm ein Zuhause bieten?
Ja klar, denn ein Ein-Zimmer-Apartment im Aegis-Hauptquartier war ja schließlich auch ein Zuhause. Okay, aber vielleicht könnte sie sich ja ein richtiges Apartment suchen. Und dann? Die Aegis war nicht wirklich kinderfreundlich. Es gab keine Bringen-Sie-Ihr-Kind-zur-Arbeit-mit-Tage. Und so selbstsicher sie war, was ihre Fähigkeiten betraf, einen Kanal von Dämonen zu säubern, wusste sie doch nicht mal die einfachsten Dinge darüber, wie man ein Kind aufzieht.
Auch wenn sie immer wieder darauf beharrte, dass die Aegis ihre Familie sei, gab es dort niemanden, der ihr helfen würde.
Sie brauchen dich aufgrund dessen, was du für sie tun kannst. Das ist der einzige Grund, aus dem sie dich haben wollen. Wann wirst du endlich die Augen öffnen und das einsehen?
Vielleicht … vielleicht war es an der Zeit für eine Veränderung. Vielleicht wenn es ihnen gelang, die Apokalypse abzuwenden, könnte sie sich ein Leben für sich und ihr Kind aufbauen.
Ihr Kind.
Acht Monate lang hatte sie sich bemüht, das Leben in ihr als »das Baby«, »das Kind« oder »den Jungen« zu bezeichnen. Sie hatte ihm auch andere Namen gegeben, Kosenamen, aber erst in den letzten Tagen hatte sie begonnen, von ihm als
ihrem Kind
zu denken.
Ihres und das von Thanatos.
Könnte sie es tun?
Ihr knurrte der Magen, was sie von Gedanken ablenkte, die vermutlich viel zu gefährlich waren. Es würde überhaupt keine Zukunft geben, wenn ihr drängendstes Problem, die Abwendung der Apokalypse, nicht Vorrang hatte.
Sie stellte sich ihren Teller auf den Schoß und schaltete den Fernseher an. Gleich darauf wünschte sie, sie hätte es nicht getan. Eilmeldung: Eine pakistanische Militäreinheit hatte Hunderte Leichen entdeckt – alle auf riesige Pfähle aufgespießt. Die Bilder waren nicht sehr deutlich, aber selbst die verzerrten, körnigen Bilder zeigten Regan alles, was sie wissen musste.
Die Szene sah genauso aus wie die Erinnerung, die sie in Thans Tattoo gelesen hatte.
Auf dem Bildschirm blitzte etwas auf, etwas, das ihr Herz aussetzen ließ. Mit zitternder Hand bediente sie die Fernbedienung, um die Szene zu wiederholen. Da waren die Reihen der Pfähle mit den schrecklich zugerichteten Leichen. Aber was ihre Aufmerksamkeit wirklich auf sich zog, war der Schatten rechts im Bild – ein Schatten in Gestalt eines Mannes auf einem Pferd.
»Thanatos.« Limos’ erstickte Stimme erklang über Regans Schulter.
»Er würde doch nicht –« Regan räusperte sich, um die Heiserkeit zu vertreiben. »Er hat sicher nicht –«
»Aber natürlich nicht«, sagte Limos, doch in ihrer Stimme lag ein Zittern des Zweifels.
Da wurde die riesige Holztür nach innen aufgestoßen, und Thanatos stürmte herein. Sein Panzer troff von Blut, seine Augen leuchteten in einem unheiligen Gold, das mit karminroten Flecken übersät war.
»Scheiße.« Limos zerrte Regan hoch und schob sie hinter ihren Rücken. »Wir müssen dich hier rausbringen.«
Doch dafür war es zu spät. Thanatos stieß ein wütendes Knurren aus und marschierte mit gezücktem Schwert auf sie zu. Seine Miene war zu einer mörderischen Maske verzerrt.
Es war derselbe Ausdruck, den sie auf seinem Gesicht gesehen hatte, ehe er seine beste Freundin abgeschlachtet hatte.
Wie aus dem Nichts tauchte Ares auf, rammte den Reiter und brachte ihn aus dem Gleichgewicht. »Geht!«, schrie er Limos zu, und im nächsten Augenblick flog er schon durch die Luft, von Thanatos fleischiger Faust umgehauen.
»Lauf, Regan«, brüllte Limos. »Raus. Ich werde dich durch ein Höllentor fortbringen.« Thanatos stürzte sich auf seine Schwester, und ihre Schwerter trafen in einem ohrenbetäubenden Scheppern von Metall auf Metall aufeinander.
»Nein!«, schrie Regan. »Hört auf!«
Niemand hörte auf sie.
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