Tharsya. Die Rückkehr der roten Drachen
wir ist doch noch kein Elf und schon gar kein Wombling herumgekommen.“
„Ach, und wenn wir gar nicht mehr den Heimweg finden?“
„Lass das nur mich machen“, flüsterte Floritzl und noch ein bisschen leiser. „Drachen können doch fliegen, und der scheint mir ja ganz freundlich zu sein, du verstehst?“
Lumiggl verstand, und plötzlich erstrahlte die Hoffnung in seinen Augen und Begeisterung und Dankbarkeit für seinen Freund. Er war ganz aufgeregt, wollte gleich losstürmen, doch Floritzl hielt ihn zurück.
„Sachte Lumiggl, sachte“, raunte er ihm zu. „Ich krieg das schon hin, das braucht Feingefühl.“
Lumiggl konnte sich gar nicht mehr erinnern, wie oft er diesen Satz schon an diesem Tag von Floritzl gehört hatte; und wenn er den jeweiligen Erfolg überschlug, stand es unentschieden: eine Pleite – ein Teppich. War jetzt wieder die Pleite dran oder eher der Heimflug auf dem weißen Drachen?
„Andrak, großer weißer Drache, nachdem du nun unsere belanglosen Missgeschicke erfahren hast, dürfen wir dich auch etwas fragen?“
„Aber selbstverständlich, und ich glaube, ich ahne schon, was ihr zu wissen begehrt.“
„Aber nur, wenn wir dich nicht langweilen.“
„Lasst gut sein, ich bin es gewohnt, dass man mich zu meiner seltenen Farbe aushebt.“
„Weißt du, Lumiggl kennt sich aus in alten Legenden und Gesängen, und ihm ist noch kein weißer Drache untergekommen ...“
„Es gibt, soweit ich weiß, nur einen einzigen weißen Drachen: mich – und das ist auch besser so.“
Warum war dieser Drache, der so freundlich und so lustig und zum Lachen aufgelegt schien, plötzlich wie gewandelt: traurig, kummervoll und seltsam in sich gekehrt. Hatte Floritzl etwa etwas Falsches gesagt?
„Ich hoffe, ich habe keinen wunden Punkt berührt. Oder sonst etwas Falsches gesagt?“
„Floritzl, Floritzl", und der Drache musterte ihn dazu mit einem kleinen Lächeln, das schmerzlich um seinen Mundwinkeln weilte, „ich hätte nicht gedacht, dass ich einmal einen Elfen treffe, der so gut hinter die Worte zu hören vermag.“
„Na ja.“
„Dein Womblingfreund scheint dir gut zu tun.“
„Was, wer?“ Verflixt, was meinte der Drache denn damit schon wieder?
„Schon gut. Ihr möchtet also gern wissen, wie ich zu meiner weißen Farbe kam. Ich will es euch berichten. Aber lass mich erst anders hinsetzen. Meine Flügel tun mir weh.“
„Aber selbstverständlich, Andrak, lass dir Zeit, deine Flügel sind wichtiger.“
„Ach, ihr beiden“, seufzte Andrak und schaute sie an, als ob er jetzt schon bedauerte, was er zu sagen hatte. „Ach, ihr werdet es ja gleich hören. Tretet ein Stück zur Seite, ich bin ja so groß, dass ich nicht immer weiß, an welchem Ende ich anfange.“
„Komm Lumiggl, lass uns etwas Abstand halten.“
Der Drache setzte sich vorsichtig auf, verschob seine Flügel und legte sich bequemer hin. Dabei war zu sehen, wie er den Fels des Berges rings um sich her wie Marmor glatt und spiegelnd gescheuert hatte.
„So, so ist es besser, und jetzt zu mir, ihr könnt euch wieder heranwagen.“
„Wäre gar nicht nötig gewesen. Groß wie du bist, bist du viel gewandter als du selber glaubst.“
„Danke, Floritzl, aber ich kenne mich besser. Und Vorsicht ist die Muhme der Gläserkiste. Also, wie ich zu meiner weißen Farbe kam. Also das war so. Eigentlich stamme ich aus einer Familie blauer Drachen. Habe blaue Eltern, blaue Geschwister, blaue Verwandte wohin man schaut. Blau, so weit der Stammbaum reicht.
Aber damals als meine Mutter in Schmerzen lag, kurz bevor sie das Ei legte, aus dem ich dann schlüpfen sollte, ereilte sie ein großer Schrecken. Eine ihrer Freundinnen nämlich wollte sich, ich weiß bis heute nicht aus welchem vertrackten Grund, ob aus schlechtem Humor oder Gedankenlosigkeit oder heimlichen Groll oder irgendeinem dummen alten Aberglauben heraus, einen Scherz mit ihr machen und wälzte sich deshalb so lange in rotem Schlamm, dass sie bei einem ersten flüchtigen Blick als roter Drache gelten konnte. Und so zeigte diese Drächin sich meiner Mutter, noch schlimmer, sprang hinter einem Felsen hervor und erschreckte sie mit ihrem Anblick und infernalischem Gebrüll. Meine Mutter war dadurch in einem Augenblick so bis ins Innerste hinein erschüttert, dass sie das Bewusstsein verlor und an dem Ort, an dem sie vorhatte, ihr Ei zu legen, in tiefe Ohnmacht fiel. Und diese Ohnmacht war so tief und ihr Schlaf so lang anhaltend, dass man um meine Mutter und mich im
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