Tharsya. Die Rückkehr der roten Drachen
lachte schallend. „Nein, Graldo verkündet die Entscheide des Ältestenrates – zumindest, wenn er schneller ist als Bordeker, was nicht oft der Fall ist. Aber er ist der Ansicht, dass alles nur dann seine wirksame Gültigkeit hat, wenn er es ausgesprochen hat. Und außerdem macht er mit seinem Apparat da Bilder von bedeutsamen Ereignissen ... Du, Graldo“, wandte er sich dann an den schwarzgekleideten Moosmann, „es gibt eigentlich nichts besonderes für die Nachwelt festzuhalten. Vielleicht solltest du warten, bis der Elf zurück ist ...“
„Oh nein, diese Pose ist ...“ Graldo hielt inne. „Ihr habt euch bewegt!“ rief er dann enttäuscht aus, denn Bordeker hatte inzwischen wieder seine normale Haltung eingenommen. Jetzt zuckte er auch noch die Achseln und rammte die Hände in die Hosentaschen.
„Beachte ihn nicht weiter, da ist nichts zu machen“, flüsterte er Lumiggl zu.
Der aber marschierte neugierig zu Graldo hinüber und reckte sich, um zu sehen, was Graldo jetzt gerade mit dem Gerät tat. Wie sich herausstellte, war es nur eine Kiste mit einem Stück weißer Fläche darin, einem Pinsel, der an einer Schnur baumelte und einem Behälter mit einer schwarzen Flüssigkeit, den Graldo jetzt vorsichtig öffnete.
Das ihn außer dem Wombling niemand mehr beachtete, schien Graldo nicht zu stören. Er tauchte seinen Pinsel in die Flüssigkeit und begann, damit die weiße Fläche zu bearbeiten. Der Pinsel hinterließ Schlieren auf dem Untergrund, als würde man in Nebel schauen, oder in dichten Rauch. Dazwischen wurde es immer wieder mal schwärzer und sah stellenweise fast wie ein Gegenstand oder eine Figur aus. Schließlich ließ Graldo mit dem Triumphschrei „Es ist vollbracht!“ von der Fläche ab.
Lumiggl strengte die Augen an, bis ihm schwindelig wurde, um zu erkennen was Graldo da gemalt hatte. Aber er konnte sich beim besten Willen keinen Reim darauf machen.
„Was ist das?“ platzte er schließlich heraus.
„Das? Das ist ein atmosphärisches Bild dieser historischen Begebenheit!“
„Aber man kann ja gar nichts erkennen.“
„Nichts erkennen!“ Graldo war entrüstet. „Nichts erkennen, aber Hallo! Dieses Bild muss man mit dem Herzen sehen. Es stellt die Quintessenz, den tiefschürfenderen Kernpunkt der festgehaltenen Situation dar! Die Vorgeschichte, die Ursachen und die Wirkung gleichermaßen!“
„Donnerwetter, ist es dafür nicht ein bisschen klein?“
„Materielle Größe ist nichts, die innere Größe mit ihren Schwingungen und Brechungen ist entscheidend.“
„Aha. Aber wäre es mit ein wenig Farbe nicht viel schöner?“
„Banause!“ Graldo klappte seinen Kasten zusammen und bedachte Lumiggl mit einem vernichtenden Blick. „Ich sehe schon, dir fehlt das dritte Auge, die tiefere Einsicht in die Kunst der Fotografie!“ Graldo warf dramatisch sein Haar zurück und stürmte hocherhobenen Kopfes davon. Der theatralische Effekt wurde allerdings ein wenig gemindert, als er mit seiner großen Kiste ins Stolpern geriet.
„Was hab ich da wieder angerichtet.“ Lumiggl ließ den Kopf hängen.
„Mach dir um Graldo keine Gedanken“, Bordeker legte den Arm um den Wombling und schüttelte ihn kameradschaftlich. „Der war zu lange bei den Menschen.“
„Wieso?“
„Na, da hat er all das her. Nur schwarze Sachen anzuziehen und mit so einem komischen Bart rumzulaufen. Und dann hat er was aufgeschnappt, das sich Fotografieren nennt. Da machen die Menschen mit kleinen Kästen ganz schnell ein Bild von ihrer Umgebung. Geht irgendwie maschinell. Frag mich nicht, wie, da kenn ich mich nicht aus. Graldo natürlich auch nicht, deshalb muss er ja zum Pinsel greifen. Und was es mit ‚atmosphärischen Bildern‘, Schwingungen und Kernpunkten auf sich hat, hat bei uns, glaube ich, noch niemand kapiert. Das hat Graldo aber noch nie gestört. Er fühlt sich wohl in seiner Rolle als missverstandener Künstler.“
„Aber er sagt, er malt historische Ereignisse.“
„Graldo behauptet, er male die Chroniken von Tharsya. Wir lassen ihn in dem Glauben. Aber mal ehrlich, was ist daran historisch, wenn ich mich mit Andrak unterhalte? Das mache ich jeden Tag.“
„Und lernst dabei ein Fremdwort“, schmunzelte Lumiggl.
„Genau! Und die flechte ich dann ein, wenn ich etwas durchsetzen will. Die anderen würden nie zugeben, dass sie nicht verstehen, was ich meine.“
***
„Es war Nacht, ich war schon schlafen gegangen“, begann Tiedel. „Na ja, meine Mutter hat mich ins
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